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Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 2|2022

Anforderungen an präzise Informationen und Journalistenprivileg im Marktmissbrauchsrecht

18. Februar 2022

Beim EuGH ist derzeit ein Fall aus Frankreich anhängig, in dem es im Wesentlichen um die Frage gehen wird, ob bzw unter welchen Voraussetzungen redaktionelle Beiträge von Wirtschaftsjournalisten zu Übernahmegerüchten präzise Informationen im Sinne der MAR sind, und wie weit das Journalistenprivileg (Art 21 MAR) reicht. Ein französischer Journalist hatte zwei Artikel verfasst, in welchen er behauptete, dass zwei Unternehmen jeweils zu weit über dem Börsekurs liegenden Preisen übernommen werden würden. Jeweils am Tag vor den Veröffentlichungen hatte der Journalist mit befreundeten Analysten telefoniert (und ihnen offenbar von seinem bevorstehenden Artikel erzählt). Die Analysten haben daraufhin Aktien der betroffenen Unternehmen gekauft und kurz nach Erscheinen der Artikel (die tatsächlich zu nicht unbeachtlichen Kursanstiegen bei den betroffenen Unternehmen geführt haben) gewinnbringend weiterverkauft. Die Analysten wurden von der französischen Aufsicht wegen Insiderhandels verurteilt, der Journalist wegen unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen.

Beide Tatbestände setzen freilich voraus, dass der Umstand, dass ein auf Gerüchten beruhender Zeitungsartikel über eine bevorstehende Übernahme erscheinen wird (nicht: die Übernahme selbst), eine Insiderinformation ist, also Kursrelevanz aufweist und „präzise“ im Sinne der MAR ist. Letzteres ist bekanntlich der Fall, wenn zum einen der zugrunde liegende Umstand bzw das Ereignis hinreichend wahrscheinlich eintritt. Die Veröffentlichung der Artikel stand zum Tatzeitpunkt jeweils unmittelbar bevor, daran bestand im konkreten Fall also kein Zweifel. Zum anderen muss aber auch Kursspezifizität gegeben sein, was der Fall ist, wenn Informationen spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung des Umstands oder Ereignisses auf den Aktienkurs zuzulassen. Ob dies auf Gerüchte zutrifft wird mitunter durchaus kontrovers diskutiert.

Das Urteil des EuGH steht zwar noch aus, die zuständige Generalanwältin hat jedoch ihre Schlussanträge bereits erstattet. Hier die wesentlichen Aussagen der Generalanwältin:

  • Um das Anlegervertrauen durch informationelle Chancengleichheit sicherzustellen sind Gerüchte nicht pauschal als unspezifisch auszuschließen.
  • Es kommt darauf an, dass sich aus dem veröffentlichten Gerücht konkrete wirtschaftliche Implikationen für den Emittenten ableiten lassen würden. Maßgeblich ist, ob sich aus der Veröffentlichung Kriterien zur hinreichend konkreten Bestimmung der Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit herauslesen lassen. Solche Kriterien können sich aus der Quelle des Gerüchts, der Reputation des Journalisten und der Reputation des Publikationsorgans (also etwa der Zeitung oder des Onlineportals) ergeben.
  • Ein nachträglicher Kursausschlag kann zur Überprüfung der Kursrelevanz (ex ante) genutzt werden, weil es nahe liegt, dass eine Information tatsächlich kursrelevant ist, wenn es nach ihrer Veröffentlichung zu einem Kursausschlag gekommen ist. Vor diesem Hintergrund darf ein verständiger Anleger in der Regel seine Anlageentscheidungen auf Informationen stützen, denen ein gewisses Maß an Konkretisierung zukommt. Eine kursrelevante Information wird meistens auch spezifisch sein.

Geht man nun von einer Insiderinformation aus, stellt sich für den Journalisten die Frage, ob die Weitergabe an die Finanzanalysten unrechtmäßig war (die Veröffentlichung selbst wäre, wenn der Artikel keine falschen oder irreführenden Signale für den Kurs der betroffenen Aktien setzt, jedenfalls rechtmäßig). Zu fragen ist hier, ob die Offenlegung „im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben“ des Journalisten erfolgt ist. Bei der Offenlegung einer Information für journalistische Zwecke sind die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung sowie journalistische Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen (wenn nicht eine Ausnahme nach Art 21 lit a) oder b) MAR greift). Zum Journalistenprivileg führt die Generalanwältin aus:

  • Der Begriff „zu journalistischen Zwecken“ ist weit zu verstehen. Auch journalistische Tätigkeiten im Vorfeld der eigentlichen Tätigkeit (etwa Recherchen) sind umfasst. Die Verifizierung eines Sachverhalts vor der Veröffentlichung bei einer Quelle ist unproblematisch.
  • Eine Mitteilung über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels ist bereits dann vom Journalistenprivileg gedeckt, wenn die Recherchetätigkeit eines Finanzjournalisten in der Praxis durch Kontakte zu Finanzanalysten geprägt ist, in deren Rahmen auch Informationen über bevorstehende Artikel und deren Veröffentlichung ausgetauscht werden. Eine andere Beurteilung ist allerdings (Anmerkung: offenbar nur) dann geboten, wenn sich die fraglichen Kontakte nicht im Rahmen der Informationsbeschaffung für (künftige) Artikel bewegen, sondern ganz unabhängig davon das Ziel verfolgen, einen Informationsvorsprung zu schaffen bzw einen solchen auszunutzen.
  • Art 21 MAR über das Journalistenprivileg geht offenbar davon aus, dass bei der Offenlegung von Insiderinformationen zu journalistischen Zwecken Art 10 Abs 1 MAR die maßgebliche Vorschrift zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit bleibt. Art 21 sieht keine eigenständige Rechtsfolge vor und kann bereits deshalb keine eigenständige Ausnahme zum Offenlegungsverbot darstellen. Es ist daher weiters zu fragen, ob die Offenlegung im Zuge der normalen Ausübung des Berufs des Journalisten vorgenommen wurde.
  • Der Nachweis des Vorliegens journalistischer Zwecke darf nicht dem Journalisten aufgebürdet werden. Vielmehr steht diesem auch im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ein Schweigerecht zu, dessen Ausübung ihm nicht zum Nachteil gereichen darf. Es kann vom Journalisten nicht verlangt werden, etwas zu den Zwecken der Offenlegung der betreffenden Information darzulegen (wegen Quellenschutz). Im Zweifel ist bei professionellen Journalisten eine Offenlegung zu journalistischen Zwecken nur dann ausgeschlossen, wenn entweder die objektiven Umstände der Tat in keinerlei innerem Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit des Journalisten stehen. Oder es muss alternativ der Nachweis gelingen, dass die Offenlegung subjektiv zu berufsfremden bzw persönlichen Zwecken geschehen sei.
  • Das Erfordernis der „Unerlässlichkeit“ einer Offenlegung wie im Groongard und Bang-Fall vom EuGH zu Art 10 MAR judiziert muss auf das Journalistenprivileg auf eine Art und Weise angewendet werden, die zu keiner Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit führt. Der Maßstab kann hier unterschiedlich sein, je nachdem, ob sich ein Thema (wie hier) nur im Interessenkreis des Anlegerpublikums bewegt oder allgemeine politische oder gesellschaftliche Interessen berührt (Anmerkung: Nur letzteren wird offenbar ein gesteigertes öffentliches Interesse zugebilligt).
  • Ist eine Mitteilung unerlässlich, ist im Rahmen der Abwägung von Pressefreiheit und Marktintegrität zu berücksichtigen, ob es infolge der Offenlegung einer Insiderinformation zu Insidergeschäften gekommen ist. Andererseits darf die Presse nicht generell davon abgehalten werden, zu bestimmten Themen zu recherchieren oder zu publizieren. Die Einhaltung journalistischer Berufsregeln lässt aber nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass die Offenlegung einer Insiderinformation rechtmäßig war.

Es bleibt freilich abzuwarten, ob und inwieweit sich der EuGH als sozusagen Letztinstanz in Sachen Marktmissbrauchsverordnung den Ansichten der Generalanwältin anschließt. Aber allein die Ansichten von Letzterer finde ich schon außerordentlich interessant. Wobei mir sowohl beim Umgang mit Gerüchten, als auch bei der Handhabe des Journalistenprivilegs das eine oder andere doch zu weit geht.

Mag. Gernot Wilfling

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