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Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 6|2022

Börsenotierungen sollen erheblich erleichtert werden

21. Dezember 2022

Nach umfangreichen Konsultationen, über die wir bereits im Detail berichtet haben (vgl Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 4|2022: „EU will Börsenotierungen erleichtern“) liegen nun (endlich) die Entwürfe der Kommission für einen EU Listing Act vor. Ziel ist, Börsenotierungen bzw das Umfeld für börsenotierte Unternehmen deutlich zu verbessern; dies speziell auch für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU). Die Entwürfe beinhalten zwei Richtlinien und eine Verordnung zur Änderung verschiedener europäischer kapitalmarktrechtlicher Rechtsakte (COM(2022) 760, COM(2022) 761, COM(2022) 762). Und darin sind ein paar durchaus praxisrelevante Neuerungen vorgesehen. Hier ein erster grober Überblick:

  • Als eines der Probleme für Going und Staying Public von KMUs hat die Kommission das Fehlen von ausreichender Research Coverage identifiziert. Daher sollen die von der Kommission angezweifelten Unbundling Rules für Investmentanalysen („the success of the unbundling rules is contestable“) reformiert werden. So soll eine neue Research-Kategorie („issuer-sponsored research“) mit daran anknüpfenden Pflichten geschaffen werden. Die Schwelle für die Ausnahme vom Research Unbundling soll von EUR 1 Mrd. auf EUR 10 Mrd. Marktkapitalisierung angehoben werden.
  • Die Listing Directive aus 2001 soll aufgehoben werden. Hinsichtlich der in großen Teilen obsolet gewordenen Listing Directive sollen die wenigen noch als relevant erachteten Bestimmungen in modifizierter Form in die MiFID II übernommen werden (Mindestmarktkapitalisierung von EUR 1 Mio. für geregelten Markt, Mindeststreubesitz von 10%, Anforderungen an die Veröffentlichung des Jahresabschlusses). Klargestellt wird, dass auch nur ein Segment eines MTF als KMU-Wachstumsmarkt geführt werden kann.
  • Da die Kapitalaufnahme über die europäischen Kapitalmärkte vor allem im Vergleich zu den USA als mangelhaft angesehen wird, soll es (wieder einmal) Vereinfachungen im EU-Prospektregime geben. Für Sekundäremissionen soll es Unternehmen, deren Aktien an einem geregelten Markt zugelassen oder zum Handel in einem KMU-Wachstumsmarkt einbezogen sind, ermöglicht werden, jedes Jahr eine oder auch mehrere Kapitalerhöhungen im Volumen von bis zu 40% des bereits zugelassenen Aktienkapitals prospektfrei durchzuführen. Bei Ausschöpfung dieser 40% soll es Unternehmen bereits 18 Monate nach Notierungsaufnahme ermöglicht werden, Kapitalerhöhungen in beliebiger Höhe nur mittels Veröffentlichung eines zusammenfassenden bloß 10-seitigen Dokuments durchzuführen. Die Schwelle für prospektfreie Emissionen soll von derzeit EUR 8 Mio. auf EUR 12 Mio. über einen Ein-Jahres-Zeitraum erhöht werden. Davon grundsätzlich unberührt bleiben aber unter dieser Summe bestehende nationale Transparenzpflichten. Außerdem soll die Schaffung stärker standardisierter und gestraffter Prospekte (Limit von 300 Seiten), die Einführung eines neuen maximal 50-seitigen EU Follow-on prospectus (als Ersatz für den sog. vereinfachten Prospekt für Sekundäremissionen) und ein neuer EU-Wachstumsprospekt nunmehr unter dem Label EU Growth issuance document mit maximal 75 Seiten für einen Aufschwung der Kapitalaufnahme über die Kapitalmärkte sorgen.
  • Für viel Aufsehen haben die geplanten Änderungen hinsichtlich der MAR, die oftmals als überbordend beurteilt wurde, gesorgt. Im Falle von den in der Praxis besonders schwer zu beurteilenden Insiderinformationen bei Zwischenschritten in einem zeitlich gestreckten Sachverhalt soll keine Ad-hoc-Publizitätspflicht mehr bestehen. Die Ad-hoc-Publizität und die Insiderverbote, die bislang streng parallel liefen, sollen nun bei Zwischenschritten in gestreckten Sachverhalten auseinanderfallen (Insiderverbote ja, Ad-hoc-Publizitätspflicht nein). Die Kommission soll ermächtigt werden, auf Level 2 eine nicht erschöpfende Liste relevanter Informationen zu schaffen und für jede Information den in der Praxis oft schwer genau festzumachenden Zeitpunkt festzulegen, zu dem vernünftigerweise erwartet werden kann, dass der Emittent sie offenlegt. Auch die Kriterien für den Aufschub der Adhoc-Publizitätspflicht sollen weiter präzisiert werden, indem die Beispiele hinsichtlich Irreführungseignung von den ESMA-Leitlinien in die MAR aufgenommen werden sollen. Die Kommission will zudem eine Änderung des Zeitpunkts an dem die zuständige Behörde über einen erfolgten Aufschub der Veröffentlichung zu informieren ist. Derzeit hat dies erst unmittelbar nach Ad-hoc-Veröffentlichung der aufgeschobenen Insiderinformation zu erfolgen, gemäß dem Vorschlag der Kommission soll dies zukünftig bereits unmittelbar nach der Entscheidung des Emittenten über den Aufschub der Veröffentlichung geschehen; das wäre sozusagen „back to the roots“, also zur Rechtslage vor der MAR.
  • Die Schwelle für Directors‘ Dealings-Meldungen soll von EUR 5.000 auf EUR 20.000 angehoben werden. Die Ausnahmen vom Handelsverbot (closed periods) bei Directors´ Dealings sollen gemäß Kommissionsvorschlag erweitert werden.
  • Vereinfachungen für Emittenten soll es auch insofern geben, als die Kommission die Einführung einer permanenten (statt anlassbezogenen) Insiderliste vorschlägt.
  • Nicht zuletzt sind Anpassungen auch bezüglich Marktsondierungen und Aktienrückkaufprogrammen angedacht.
  • Gesellschaftsrechtlich spannend werden in Österreich die Ideen der Kommission zu Mehrstimmrechtsaktien. Solche sind hierzulande derzeit (wie auch in Deutschland) unzulässig. Sie werden aber von der Kommission als wichtige Möglichkeit der Attraktivierung von Börsengängen angesehen, da durch Mehrstimmrechte es etwa Gründern ermöglicht werden könnte, trotz IPO die Kontrolle über „ihr“ Unternehmen zu behalten (vgl dazu bereits Newsletter Corporate/M&A Issue 4|2021 „Gestaltungmöglichkeiten für Stimmrechte in der Satzung: Zwischen Höchststimmrecht und Super Voting Shares“). Die Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, allen Unternehmen, die zum ersten Mal eine Zulassung zum Handel ihrer Aktien auf einem KMU-Wachstumsmarkt anstreben, Mehrstimmrechte zu erlauben. In Österreich gibt es noch keinen „echten“ KMU-Wachstumsmarkt. Der direct market plus der Wiener Börse, welcher primär KMU adressiert, ist „nur“ ein „gewöhnliches“ multilaterales Handelssystem.

Die Änderungen sind zum Teil sicherlich zu begrüßen (Erleichterungen MAR), bleiben aber in anderen Bereichen deutlich hinter den Erwartungen zurück (Mehrstimmrechtsaktien). Die Entwürfe werden nun mit dem Europaparlament und den Mitgliedstaaten beraten, die sie beide ändern können und sich am Ende einigen müssen. Wir werden die Entwicklungen für Sie weiterhin beobachten und wieder berichten.

Dr. Sebastian Sieder

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