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Newsletter Familienrecht Issue 5|2022

Datenschutzlücke im Scheidungs- und Verlassenschaftsverfahren geschlossen (OGH 8 Ob 3/22g)

7. Dezember 2022

1. Einleitung

Eine einvernehmliche Scheidung setzt einen sogenannten Scheidungsfolgenvergleich voraus. Die Ehegatten müssen sich über die wichtigsten Scheidungsfolgen einigen, etwa wer die Obsorge der Kinder übernimmt, die konkreten Unterhaltsansprüche der Kinder und der Ehegatten untereinander, aber auch die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens, der ehelichen Ersparnisse und der Schulden. Sind auch Liegenschaften vorhanden, wird das Dokument über den Scheidungsfolgenvergleich in die digitale Urkundensammlung des Grundbuchs aufgenommen. Die Unterlagen des Grundbuchs sind allerdings öffentlich zugänglich. Diese Rechtslage ist mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte der Ehegatten sehr fragwürdig.

2. Verurteilung Österreichs durch den EGMR (EGMR 06.04.2021, 5434/17 [Liebscher/Österreich])

Erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Österreich wegen Verletzung von Art 8 EMRK verurteilt. Nach der österreichischen Rechtslage muss eine Vollausfertigung des Scheidungsfolgenvergleichs beim Grundbuch veröffentlicht werden. Insbesondere wegen der damit verbundenen freien Abrufbarkeit des gesamten Vergleichsinhalts wird laut EGMR das Grundrecht der Beteiligten auf Schutz ihrer persönlichen Daten verletzt. Der Eingriff in die Privatsphäre ist nicht verhältnismäßig.

3. OGH-Entscheidung (OGH 30.03.2022, 8 Ob 3/22g)

Eine Reaktion des österreichischen Höchstgerichts auf die angeführte Entscheidung des EGMR gab es etwa ein Jahr später. Der Kläger des vorliegenden Falls beantragte unter Heranziehung der EGMR-Entscheidung, dass es ausreichend sei, den Scheidungsvergleich lediglich in einer Teilausfertigung beim Grundbuch vorzulegen. Der OGH hat in Folge entschieden, dass zwar weiterhin eine vollständige Vergleichsausfertigung beim Grundbuchsgericht vorgelegt werden muss, sodann aber nur eine Teilausfertigung zu veröffentlichen ist. Die Veröffentlichung einer Teilausfertigung, die lediglich die liegenschaftsbezogenen Regelungen enthält, sei ausreichend.

Doch diese Entscheidung findet keineswegs Deckung im Gesetz, wo nach wie vor eine Pflicht zur Vorlage des gesamten Scheidungsvergleichs angeordnet wird. Unter Heranziehung von Analogie kommt der OGH allerdings zu dem genannten Ergebnis. Analogie ist die Erstreckung einer bestimmten Rechtsnorm auf einen Sachverhalt, der gesetzlich nicht geregelt ist. Für eine Analogieziehung ist stets eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes (eine Regelungslücke) erforderlich. Die Entscheidung des EGMR hat eine Lücke im Gesetz deutlich aufgezeigt. Der OGH wendet in Folge § 178 Abs 4 AußStrG analog an, wonach die Möglichkeit geschaffen werden soll, persönliche Daten nicht publik machen zu müssen. Die Veröffentlichung einer bloßen Teilausfertigung des Scheidungsfolgenvergleichs ist folglich zulässig.

4. Fazit

Mit der Entscheidung 8 Ob 3/22g hat der OGH erfreulicherweise eine bereits stark kritisierte und als sehr unsensibel empfundene Datenschutzlücke im Scheidungs- und Verlassenschaftsverfahren geschlossen. Mit dem Wegfall der Veröffentlichungspflicht einer Vollausfertigung des Scheidungsfolgenvergleichs soll nun eine Verletzung des Grundrechts auf Schutz der persönlichen Daten hintangehalten werden.

DDr. Katharina Müller, TEP / Dr. Martin Melzer, LL.M.

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