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Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 6|2022

EuGH zur Insiderinformation und zum Journalistenprivileg

21. Dezember 2022

Der EuGH hatte sich nach den aufsehenerregenden Entscheidungen Geltl/Daimler und Lafonta/ Autorité des marchés financiers wieder mit spannenden Auslegungsfragen hinsichtlich der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) zu beschäftigen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Ein renommierter britischer Journalist der Daily Mail hatte im Zuge seines Formats “Market Report”, in welchem er unter anderem Marktgerüchte aufgriff, zwei Artikel geschrieben. Beide Artikel beschäftigten sich jeweils mit einem (angeblich) bevorstehenden öffentlichen Erwerbsangebot für Aktien eines französischen und in Frankreich börsenotierten Unternehmens. Derartige Erwerbsangebote sind für den Kurs der betroffenen Aktien regelmäßig höchst relevant.

Im ersten Artikel wurde über ein bevorstehendes öffentliches Angebot zum Erwerb von Aktien eines Emittenten zu einem Erwerbspreis, der 86% über dem letzten Aktienkurs lag, berichtet. Nach der Veröffentlichung des Artikels (nicht: des Erwerbsangebots!) stieg der Kurs bei Eröffnung des Börsehandels gleich um 0,64% und bis Börseschluss sogar um 4,55%.

Im zweiten Artikel wurde über ein bevorstehendes öffentliches Angebot zum Erwerb von Aktien eines anderen Emittenten zu einem Erwerbspreis, der 80% über dem letzten Aktienkurs lag, berichtet. Der Kurs dieser Aktien stieg infolge der Veröffentlichung des Artikels um fast 18%.

Der Journalist hatte die Information über die bevorstehende Veröffentlichung der Artikel an zwei Personen weitergegeben. Bei diesen handelte es sich um Finanzanalysten, mit welchen der Journalist regelmäßig in Austausch stand. Zweck der Offenlegung war, die Gerüchte über die bevorstehenden Erwerbsangebote zu verifizieren. Die französische Aufsichtsbehörde Autorité des marchés financiers (AMF) bedachte den Journalisten dafür wegen unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen mit einer Geldstrafe von EUR 40.000. Dieser erhob dagegen Beschwerde. Das angerufene Rechtsmittelgericht (Cour d’appel de Paris) wendete sich mit gegenständlichen Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

Das Vorlagegericht fragte sich im Wesentlichen, ob eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, in dem ein solches Gerücht aufgegriffen wird, eine präzise Information und somit eine Insiderinformation sein kann. Der zweite Themenkomplex betraf das sogenannte Journalistenprivileg des Art 21 MAR. Dieses besagt, dass wenn für journalistische Zwecke oder andere Ausdrucksformen in den Medien Informationen etwa offengelegt werden, bei deren Beurteilung grundsätzlich die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien sowie die journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen sind. Diesbezüglich war im Kern die Vorlagefrage, ob dies so auszulegen ist, dass die Weitergabe des Journalisten an eine seiner üblichen Informationsquellen „für journalistische Zwecke“ erfolgt.

Nachdem wir in unserem Newsletter bereits die Schlussanträge der Generalanwältin in dieser Sache analysiert haben (vgl Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 2|2022 „Anforderungen an präzise Informationen und Journalistenprivileg im Marktmissbrauchsrecht“), liegt nunmehr die Entscheidung des EuGH vor. Tenor des europäischen Höchstgerichts:

  • Bei der Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird, kann es sich um eine „präzise“ Information handeln. Für die Beurteilung, ob die Information präzise ist, sind der Umstand, dass in diesem Presseartikel der für die Wertpapiere dieses Emittenten im Rahmen eines möglichen öffentlichen Erwerbsangebots gebotene Preis genannt werden wird, sowie die Identität des Journalisten, der diesen Artikel unterzeichnet hat, und des Presseorgans, das ihn veröffentlicht hat, erheblich, sofern sie vor der Veröffentlichung des Artikels mitgeteilt wurden. Der tatsächliche Einfluss dieser Veröffentlichung auf den Kurs der Wertpapiere, auf die sie sich bezieht, kann zwar einen nachträglichen Beweis dafür darstellen, dass die Information über diese Veröffentlichung präzise war, kann aber für sich genommen, ohne dass weitere, vor dieser Veröffentlichung bekannte oder offengelegte Angaben geprüft werden, nicht für den Nachweis der Präzision der Information genügen.
  • Das Journalistenprivileg ist dahin auszulegen, dass die Offenlegung einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels, in dem ein Marktgerücht aufgegriffen wird, durch den Journalisten, der diesen Artikel verfasst hat, an eine seiner üblichen Informationsquellen „für journalistische Zwecke“ im Sinne dieser Vorschrift geschieht, wenn sie erforderlich ist, um einer journalistischen Tätigkeit nachzukommen, die auch Untersuchungstätigkeiten im Vorfeld dieser Veröffentlichung umfasst.
  • Art 10 und 21 MAR sind dahin auszulegen, dass eine Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten rechtmäßig ist, wenn sie für die Ausübung seines Berufs erforderlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

Unsere Detailwürdigung der Entscheidung samt zu erwartender Auswirkungen auf die Praxis lesen Sie in der Ausgabe 6 der Zeitschrift für Finanzmarktrecht (ZFR).

Mag. Gernot Wilfling / Dr. Sebastian Sieder

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