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Müller, Katharina / Ilg, Mathias: Aktuelle Entscheidung zu Corona-Mehrkosten und Nachweisführung

Österreichische Bauzeitung 05/2023

6. März 2023

Eine Entscheidung des OGH (6 Ob 136/22a vom 21.12.2022) beschäftigt sich nun erstmals mit Mehrkostenforderungen infolge der COVID-19-Pandemie.    


Vorab: Der OGH hält fest, dass bei Verträgen, die auf Grundlage der ÖNORM B 2110 abgeschlossen wurden, die Folgen der Pandemie grundsätzlich der Sphäre des AG zugewiesen werden. Der AN ist daher berechtigt, den Ersatz von COVID-19 bedingten Mehrkosten zu fordern. Dies entspricht im Wesentlichen der bereits überwiegend in der Literatur vertretenen Meinung. Zu heftigen Diskussionen führt die OGH-Entscheidung allerdings aufgrund der Ausführungen zur Nachweisführung rund um bauwirtschaftliche Mehrkostenforderungen.

Sachverhalt und wesentliche Rechtsansicht des OGH

Die Klägerin forderte Mehrkosten infolge der pandemiebedingten Maßnahmen (Tragen von Schutzmasken, dadurch verursachter Leistungsabfall der Arbeiter, laufende Desinfektion, Stehzeiten, …). Sie stützte sich beim Klagsbetrag im Wesentlichen auf ein bauwirtschaftliches Sachverständigengutachten, welches sich nach Ansicht des OGH lediglich „auf abstrakte Berechnungen ohne jeglichen Bezug zur konkreten Baustelle“ beschränkte.

Dies erachtete der OGH im konkreten Fall als unzureichend und wies darauf hin, dass es einer klägerischen Behauptung zu konkret entstandenen Mehrkosten infolge der COVID-19-Pandemie als Nachteil für das Bauunternehmen bedürfe und die Fortschreibung der Preisvereinbarung für den Verzögerungszeitraum nicht ausreiche. Der OGH bestätigte zwar, dass die Berechnung der Mehrkostenforderungen auf Preisbasis des Vertrages zu erfolgen hätte, jedoch würde dies nichts daran ändern, dass die Verzögerung kausal für die Mehrkosten gewesen sein musste.

Behauptungs- und Beweislast bei bauwirtschaftlichen Mehrkostenforderungen

Damit befeuert die aktuelle Entscheidung erneut die Diskussion, die schon seit einigen Jahren in der einschlägigen Literatur zur Frage der Nachweisführung bei bauwirtschaftlichen Mehrkostenforderungen entbrannt ist. Dreh- und Angelpunkt dieser Diskussion ist die Frage, in welcher Tiefe ein Nachteil zu behaupten und zu beweisen ist. Vertreter des sogenannten Einzelnachweises fühlen sich aktuell in ihrer Forderung nach einem entstandenen Vermögensnachteil bestärkt, der durch detaillierten Nachweis jeder einzelnen Mehrstunde bzw konkreter Mehrkosten bezogen auf einzelne Störungen zu beweisen wäre. Vertreter der Gegenmeinung (darunter auch die Autoren) können sich dieser Interpretation nicht in vollem Umfang anschließen.

Klar ist, dass der OGH konkretes Vorbringen und dessen Beweis fordert, inwieweit durch eine Verzögerung auf der konkreten Baustelle Mehraufwand entstanden ist, der für den AN einen Nachteil bedeutet. Zum Detaillierungsgrad dieses Vorbringens und der entsprechenden Nachweise sagt der OGH Folgendes: „Soweit sich konkrete Angaben im Klagsvorbringen finden (zB zwei Masken pro Arbeiter, Einbettzimmer statt Zweibettzimmer etc), bleiben diese Behauptungen auf halbem Weg stecken, wird doch nicht angegeben, wie viele Arbeiter wie viele Tage tätig waren, wie viele Masken daher verbraucht wurden, in wie viel Nächten wie viele Einbettzimmer statt Zweibettzimmern benützt werden mussten etc). Die Klägerin beruft sich auf das § 1168 Abs 1 S 2 ABGB innewohnende Prinzip der Aufrechterhaltung der subjektiven Äquivalenz (vgl auch 2 Ob 203/08d). Dies könnte etwa zwar bei der Zugrundelegung des vereinbarten Stundenlohns auch für notwendige Mehrarbeiten von Bedeutung sein (vgl auch  M. Bydlinski in KBB6 § 1168 ABGB Rz 7), enthebt aber nicht von der Notwendigkeit der Behauptung, welche Mehrarbeiten angefallen sind.“

Welcher Schluss ist daraus zu ziehen? Eindeutig abzuleiten ist, dass zur Geltendmachung einer Mehrkostenforderung der dem AN aus Verzögerungen und Störungen entstandene Mehraufwand bezogen auf die Baustelle konkret zu behaupten ist. Dieser unter Beweis zu stellende Mehraufwand (Stehzeiten, Mehrstunden, Überstunden, Produktivitätsverluste etc) ist Grundlage für die Preisfortschreibung auf Preisbasis des Vertrages. Zwar muss kein Vermögensnachteil im schadenersatzrechtlichen Sinn eintreten, jedoch ein die Äquivalenz störender konkreter Mehraufwand als Nachteil entstanden sein. MaW: Preis und Leistung passen aufgrund der tatsächlichen Aufwände nicht mehr zusammen.

Praxistipp: Dokumentation

In der Zukunft wird der Dokumentation auf der Baustelle, insbesondere in Bautagesberichten noch mehr Bedeutung zukommen. Jeder Ausführende ist gut beraten, hier nicht Zeit und Geld am falschen Platz einzusparen. Die Dokumentation ist und bleibt der wesentliche Erfolgsfaktor zur Durchsetzung von bauwirtschaftlichen Mehrkostenforderungen.

DDr. Katharina Müller, TEP / Mag. Mathias Ilg, MSc


Dieser Beitrag erschien am 17.03.2023 in der Österreichischen Bauzeitung 05/2023.

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