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Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 5|2021

Neue BaFin-Leitlinien zur Ad-hoc-Pflicht von Kredit- und Finanzinstituten

1. Juli 2021

Die Ad-hoc-Publizitätspflicht ist eines der praktisch am schwierigsten zu handhabenden Themen des Kapitalmarktrechts. Aufgrund diverser Sonderthematiken sind die Herausforderungen in regulierten Rechtsträgern wie Banken besonders groß. Die deutsche BaFin bietet nun für ausgewählte Konstellationen eine Hilfestellung, und zwar in Form eines kürzlich erschienenen Papiers mit dem sperrigen Namen „Leitlinien zur Bestimmung allgemeiner Kriterien für die Ad-hoc-Publizitätspflichten und Aufschubmöglichkeiten für Kredit- und Finanzinstitute betreffend bankaufsichtliches Handeln und Abwicklung“. In diesem Beitrag fasse ich die wesentlichsten Erkenntnisse der neuen BaFin-Leitlinien zusammen. Davor gebe ich einen kurzen Überblick über die relevanten Rechtsgrundlagen.

Die Veröffentlichungs- und Aufschubregeln der Marktmissbrauchsverordnung

Emittenten, also Unternehmen, die ein oder mehrere Finanzinstrumente zum Handel an einem Handelsplatz im Sinne der MAR/MiFID II zugelassen haben, geben Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, unverzüglich bekannt. „Insiderinformationen“ sind (i) nicht öffentlich bekannte (ii) präzise Informationen, die (iii) direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, (iv) wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

Nach der allgemeinen Aufschubregel der MAR können Emittenten die unverzügliche Veröffentlichung von Insiderinformationen aufschieben, wenn folgende Kriterien kumulativ erfüllt sind: a) die unverzügliche Offenlegung wäre geeignet die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen, b) die Aufschiebung der Offenlegung wäre nicht geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen, c) der Emittent kann die Geheimhaltung der Informationen sicherstellen (Art 17 Abs 4 MAR). Zu dieser allgemeinen Aufschubregel hat die ESMA bereits vor geraumer Zeit Leitlinien herausgegeben, die Sie hier abrufen können.

Zur Wahrung der Stabilität des Finanzsystems können Kredit- und Finanzinstitute die Offenlegung von Insiderinformationen (einschließlich Informationen im Zusammenhang mit einem zeitweiligen Liquiditätsproblem) aufschieben, sofern sämtliche nachfolgenden Bedingungen erfüllt sind: a) die Offenlegung der Insiderinformationen birgt das Risiko, dass die finanzielle Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems untergraben wird; b) der Aufschub der Veröffentlichung liegt im öffentlichen Interesse; c) die Geheimhaltung der betreffenden Informationen kann gewährleistet werden, und d) die zuständige Aufsichtsbehörde hat dem Aufschub zugestimmt (Art 17 Abs 5 MAR).

Die wesentlichen Erkenntnisse für Kredit- und Finanzinstitute aus den neuen BaFin-Leitlinien

Die Leitlinien beschäftigen sich mit drei wesentlichen Themenblöcken: (i) Insiderinformationen bei bankaufsichtlichem Handeln; (ii) Insiderinformationen in Zusammenhang mit der Abwicklung; und (iii) Aufschubregelungen für Kredit- und Finanzinstitute. Die BaFin nennt zu diesen Themen jeweils Konstellationen, in denen potenziell Insiderinformationen bzw Aufschubgründe vorliegen können. Die deutsche Aufsicht weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass man bei der Prüfung des konkreten Einzelfalls durchaus auch zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen könnte. Außerdem betont sie, dass die Auflistung nicht abschließend ist.

Bankaufsichtliches Handeln

Die BaFin betont dazu zunächst, dass nicht nur das bankaufsichtsrechtliche Handeln selbst, sondern auch die Umstände, die zum Ergreifen der jeweiligen Maßnahme geführt haben, Insiderinformationen sein können. In Zusammenhang mit bankaufsichtlichem Handeln schätzt die BaFin die Ad-hoc-Pflicht der Institute wie folgt ein:

  • Aufsichtsorganisation:
    • Die Einstufung als bedeutendes Institut oder potenziell systemgefährdendes Institut begründet für sich allein keine Ad-hoc-Pflicht.
    • Die Intensivierung der Aufsicht, etwa auf Grundlage des Risikoprofils eines Instituts, begründet für sich genommen laut BaFin in der Regel ebenfalls keine Ad-hoc-Pflicht. Gerade hier sollen aber die Umstände, die eine intensivierte Aufsicht erforderlich machen, besonders auf ihre Insiderrelevanz geprüft werden.
  • Sanierungsplanung:
    • Das Erreichen eines Schwellenwerts eines Sanierungsindikators ist laut BaFin in der Regel keine Insiderinformation. Dies nach meinem Verständnis jedenfalls solange, als die Eigenmittelanforderungen, die kombinierten Kapitalpufferanforderungen und sonstige regulatorische Anforderungen vom Institut eingehalten werden und weder die Geschäftsleiter, noch die Aufsichtsbehörde Maßnahmen ergreifen. Auch hier weist die BaFin wieder besonders darauf hin, dass die institutsspezifischen Ereignisse, die zum Erreichen des Schwellenwerts führen, Insiderinformationen sein können (beispielhaft genannt werden bedeutende Wertberichtigungen, Verkauf von Assets, Zahlungsmittelabflüsse oder außerordentliche Aufwendungen). Ganz allgemein soll es laut BaFin dabei (wenig überraschend) insbesondere auf die Auswirkungen der Ereignisse auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage von dem Hintergrund der gegenwärtigen Marktsituation des Instituts ankommen.
    • Allein der Umstand, dass der Sanierungsplan nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht und daher eine Aufforderung zur Vorlage eines überarbeiteten Sanierungsplans an ein Institut ergeht, ist laut BaFin regelmäßig keine Insiderinformation.
  • Bankaufsichtliche Maßnahmen:
    • Die Anordnung einer Vorfeldmaßnahme selbst ist laut BaFin ohne Hinzutreten weiterer Umstände in der Regel keine Insiderinformation. Dies begründet die Aufsicht damit, dass der bloße Erlass einer Vorfeldmaßnahme noch keinen konkreten Rückschluss auf eine bereits eingetretene oder unmittelbar bevorstehende erhebliche Verschlechterung der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Instituts zulasse.
    • Das Vorschreiben zusätzlicher Meldepflichten oder häufigerer Meldungen (auch zur Eigenmittel- und Liquiditätslage eines Instituts) oder das Verlangen ergänzender Informationen durch die EZB begründet laut BaFin ebenfalls nicht ohne Weiteres eine Insiderinformation. Auch hier betont die deutsche Aufsicht wieder, dass aber die Umstände, die zum Tätigwerden der EZB führen, auf ihre Insiderrelevanz zu prüfen seien.
    • Vorstehendes gilt laut BaFin auch für die Ausübung der in Art 16 Abs 2 Buchstabe b) SSM-VO genannten Befugnisse durch die EZB (Verlangen gegenüber dem Institut, Regelungen, Verfahren, Mechanismen und Strategien zu verstärken).
    • Präventive Maßnahmen, welche die Verhinderung einer bei ungehindertem Fortgang über einen langen Zeitraum drohenden Krise dienen, können laut BaFin für sich selbst eine Ad-hoc-Pflicht auslösen. Dies regelmäßig dann, wenn eine konkrete Maßnahme erhebliche Auswirkungen auf die künftige Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Instituts hat und diese Auswirkungen noch nicht der Markterwartung entsprechen (beispielhaft nennt die BaFin die Untersagung oder Beschränkung der Gewährung von Krediten; wie schwer es in der Praxis ist, eine Markterwartung einigermaßen zuverlässig festzustellen, soll hier eine Randnotiz sein). Es können laut BaFin jedoch auch Maßnahmen losgelöst von einer Änderung des Unternehmenswerts auf den Kurs von Finanzinstrumenten (insbesondere wohl Aktien) erheblich einwirken, etwa die Untersagung, Gewinne auszuschütten.
    • Maßnahmen der BaFin oder der EZB bei Verletzung aufsichtlicher Vorgaben können für sich selbst ad-hoc-pflichtige Insiderinformationen sein. Von den potenziellen EZB-Maßnahmen hebt die BaFin das Einschränken bzw Begrenzen der Geschäftsbereiche, der Tätigkeiten und der Vernetzung von Instituten bis hin zum Verlangen, Geschäftszweige zu veräußern, hervor. Umgekehrt sollen aber etwa allein die Maßnahmen nach Art 16 Abs 2 Buchstaben b), j) und l) SSM-VO regelmäßig keine Insiderinformationen sein.
    • Bei Frühinterventionsmaßnahmen nach BRRD sind laut BaFin wiederum insbesondere die Umstände, die zum Tätigwerden der Behörde führten, genau auf Insiderrelevanz zu prüfen (die deutsche Aufsicht betont hier insbesondere das Unterschreiten der harten Kapitalanforderung). Auch die Maßnahme selbst kann laut BaFin eine Insiderinformation sein. Neben dem Verbot der Gewinnausschüttung betont sie hier etwa das Verlangen, die Geschäftsstrategie sowie die rechtlichen und operativen Strukturen zu ändern. Wird dagegen bloß eine Analyse samt Plan zur Überwindung bestehender Probleme vom Institut verlangt, stellt die Maßnahme selbst in der Regel keine Insiderinformation dar.

Abwicklung

  • Übergang zur Abwicklung: Hier kann laut BaFin eine Insiderinformation wegfallen oder entstehen, wenn eine aufsichtliche Maßnahme (erfolgreich oder auch nicht) abgeschlossen wird. Es soll etwa eine Insiderinformation wegfallen, wenn das zugrundeliegende Ereignis für eine aufsichtliche Maßnahme entfällt, zum Beispiel weil kapitalstärkende Maßnahmen bei einem Institut stattgefunden haben (dass auch die kapitalstärkende Maßnahme selbst regelmäßig eine eigene Insiderinformation darstellt ist hier freilich besonders hervorzuheben).
  • Abwicklungsplanung: Werden bei der Erstellung des Plans Abwicklungshindernisse bekannt, könnten das Gewicht bzw die wirtschaftlichen Folgen der daraus resultierenden Beseitigungsmaßnahmen (etwa Erfordernis einer Umstrukturierung) eine Insiderinformation begründen. Allein die Tatsache des Vorliegens eines (möglichen) Abwicklungshindernisses ist in der Regel laut BaFin jedoch nicht für sich selbst ad-hoc-pflichtig.
  • Behördliche Handlungen im Vorfeld von Abwicklungsmaßnahmen: Hier betont die BaFin wieder einmal, dass zunächst die Umstände, die zu vorbereitenden Abwicklungsmaßnahmen seitens einer Behörde führen, auf ihre Kursrelevanz zu prüfen sind. Die Aufforderung der Abwicklungsbehörde zur Datenübermittlung oder zum Aufsetzen eines Datenraums ist dagegen laut der deutschen Aufsicht keine neue Insiderinformation.
  • Feststellung der Bestandsgefährdung durch die Behörde: In einem solchen Fall sind die zugrundeliegenden Ereignisse, die zu einer wesentlichen Verschlechterung der Finanzlage oder dem Verstoß gegen erlaubnisrelevante Auflagen durch das Institut führen nach Ansicht der BaFin regelmäßig Insiderinformationen. Allein der Umstand, dass die Behörde eine Bestandgefährdung prüft, soll laut BaFin keinen eigenständigen Insiderinformationsgehalt haben. Sehr wohl dagegen, wenn tatsächlich eine Bestandsgefährdung festgestellt wird (wobei dies ein behördeninterner Vorgang ist, von dem das Institut keine Kenntnis hat).
  • Feststellung des Vorliegens der Abwicklungsvoraussetzungen: Hier gilt im Wesentlichen das zur Feststellung der Bestandsgefährdung soeben Gesagte.
  • Erlass einer Abwicklungsanordnung: Hierbei handelt es sich laut BaFin (wenig überraschend) um eine Insiderinformation. Eine Aufschubmöglichkeit sieht die deutsche Aufsicht in einem solchen Fall nicht, weil das Institut die Geheimhaltung nicht gewährleisten kann (die Anordnung ist durch die Behörde bekanntlich zu veröffentlichen).
  • Vermarktungsprozess: Kommt es im Zuge einer Abwicklung zur Unternehmensveräußerung, ist die Einleitung des Vermarktungsprozesses laut BaFin in der Regel eine ad-hoc-pflichtige Insiderinformation (deren Veröffentlichung allerdings unter Umständen aufgeschoben werden kann).

Aufschubregelungen

  • Aufschub nach Art 17 Abs 4 MAR: Zu dieser Aufschubregelung beschäftigt sich die BaFin nur mit den berechtigten Interessen des Emittenten an einem Aufschub. Im gegebenen Kontext weist sie insbesondere auf Erwägungsgrund 50 der MAR hin, demgemäß ein berechtigtes Interesse für den Aufschub unter anderem dann besteht, wenn die finanzielle Überlebensfähigkeit des Emittenten stark und unmittelbar gefährdet ist, und die unverzügliche Veröffentlichung die Interessen der Aktionäre erheblich beeinträchtigen würde, indem der Abschluss von Verhandlungen gefährdet würde, die eigentlich zur Gewährleistung der finanziellen Erholung des Emittenten gedacht sind. Auch bei Maßnahmen, die der kurzfristigen finanziellen Erholung dienen, kann laut ESMA ein berechtigtes Aufschubinteresse bestehen. Die BaFin hält darüber hinaus auch bei präventiven Maßnahmen und Frühinterventionsmaßnahmen, bei denen regelmäßig noch kein Krisenfall eingetreten oder konkret absehbar ist, einen Aufschub nach Art 17 Abs 4 MAR für denkbar. Dies etwa, wenn die Maßnahme in Folge einer öffentlichen Bekanntgabe nicht oder schwer durchführbar wäre oder ihren Charakter als Unterstützungsmaßnahme verlieren würde. Und zuletzt besteht laut deutscher Aufsicht auch dann ein berechtigtes Aufschubinteresse, wenn Maßnahmen zur Behebung von finanziellen Schwierigkeiten wie etwa bei einem Unterschreiten der harten Kapitalanforderung noch der Zustimmung eines Dritten (insbesondere der Aufsicht selbst) bedürfen.

 

  • Aufschub nach Art 17 Abs 5 MAR:
    • Die Offenlegung der Insiderinformation birgt das Risiko, die finanzielle Stabilität des Emittenten zu untergraben, wenn eine erhebliche Verschlechterung der Finanzlage und der Überlebensfähigkeit zu befürchten ist. Dies soll laut BaFin etwa bei erheblichen Abflüssen an liquiden Mitteln oder einem erheblichen Abschmelzen des Eigenkapitals angenommen werden können.
    • Bei der Beurteilung der Gefährdung der finanziellen Stabilität des Finanzsystems spielt laut deutscher Aufsicht die Systemrelevanz eine zentrale Rolle. Sind systemrelevante Institute in ihrer Stabilität gefährdet, soll häufig eine Systemgefährdung naheliegen. Bei potenziell systemrelevanten Instituten soll zu prüfen sein, aufgrund welcher Kriterien sie als potenziell systemrelevant eingestuft wurden und ob diese Kriterien im konkreten Fall betroffen sind. Bei sonstigen Instituten ist die Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems laut BaFin auch nicht gänzlich ausgeschlossen, wobei es hier nach meinem Verständnis insbesondere bei der Bestandsgefährdung mehrerer Institute auch zu einer Gefährdung des Finanzsystems kommen können soll (wie das einzelne Institut dies im Anlassfall beurteilen kann bleibt freilich offen).
    • Beim Aufschub nach Art 17 Abs 5 MAR kommt es bekanntlich nicht auf berechtigte Interessen des Instituts, sondern auf das öffentliche Interesse am Aufschub an. Dieses muss das Informationsinteresse des Markts überwiegen, was beispielsweise der Fall sein soll, wenn die Veröffentlichung das Erreichen der Abwicklungsziele eines systemrelevanten Instituts gefährden würde.
    • Stimmt die Aufsichtsbehörde dem Aufschub nach Art 17 Abs 5 MAR nicht zu, ist die Insiderinformation, deren Aufschub das Institut beantragt, unverzüglich zu veröffentlichen. Diesfalls soll es auch nicht zulässig sein, alternativ auf Art 17 Abs 4 MAR gestützt aufzuschieben.

Eine offizielle Äußerung der FMA zu den von der BaFin in ihren neuen Leitlinien adressierten Themen ist mir nicht bekannt. Solange seitens unserer Aufsicht (oder der ESMA) keine gegenteilige Behördenpraxis kommuniziert wird können sich auch österreichische Institute an den – meines Erachtens teilweise durchaus hilfreichen – Äußerungen der deutschen Aufsicht orientieren.

Mag. Gernot Wilfling

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