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Newsletter Kapitalmarktrecht Issue 7|2020

Review der Marktmissbrauchsverordnung – ESMA Final Report liegt vor

15. Oktober 2020

Derzeit steht bekanntlich die mittlerweile gut vier Jahre alte Marktmissbrauchsverordnung relativ umfassend auf dem Prüfstand. Nach langwierigen Konsultationsprozessen ist nun kürzlich der Final Report der ESMA zu diesem Review erschienen. Nachfolgend fassen wir einige interessante Aspekte aus dem Bericht zusammen:

  1. Die ganz zentrale Definition „Insiderinformation“ in Art 7 Abs 1 lit a) MAR soll im Wesentlichen unverändert bleiben. Sie sei weit genug um Marktmissbrauch zu verhindern und verbindlich genug („sufficiently prescriptive“) um Emittenten die Beurteilung in den meisten Fällen zu ermöglichen. Während man Ersterem uneingeschränkt folgen kann, erleben wir in der Praxis gerade rund um die Einschätzung von Zwischenschritten im gestreckten Sachverhalt nach wie vor hohe Unsicherheit auf Seiten der Emittenten. Wir hätten durchaus Sympathie für die zuletzt wieder öfters propagierten unterschiedlichen Definitionen für die Anknüpfung von Insiderhandel und Ad-hoc-Pflicht gehabt. Die diesbezügliche Diskussion ist mit dem ESMA Final Report aber wohl bis auf Weiteres wieder vom Tisch. Dass die ESMA zumindest ihre Bereitschaft ankündigt, Guidance zu diversen Aspekten der Insiderinformations-Definition bereit zu stellen, ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber wohl ein schwacher Trost!
  2. Im Zuge des MAR-Reviews steht auch das Regime für den Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen zur Diskussion. ESMA stellt dazu fest, dass von der Aufschubmöglichkeit in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich Gebrauch gemacht wird (unserer Wahrnehmung nach unterscheiden sich sogar die Zugänge der inländischen Emittenten erheblich). Generell interessant ist, dass die Anzahl an Aufschüben unionsweit seit der Anwendbarkeit der MAR jedes Jahr deutlich zunimmt. Wir wiederholen in diesem Zusammenhang unsere Ansicht, dass in insiderrelevanten gestreckten Sachverhalten nach Judikatur und Behördenpraxis häufig schon sehr früh ein Aufschub erforderlich sein wird, um eine sofortige Ad-hoc-Meldung zu vermeiden. Die Kriterien für den Aufschub sollen laut ESMA trotz ihrer Feststellungen zur unterschiedlichen Handhabe unverändert bleiben. Deren Beseitigung will sie nach unserem Verständnis eher mit einer Erweiterung ihrer Guidelines zu den Aufschubgründen in den Griff bekommen.
  3. Die ESMA betont im Final Report die Wichtigkeit von internen Systemen für die Identifizierung von, den Umgang mit und die Veröffentlichung von Insiderinformationen. Sie nimmt in weiterer Folge zwar davon Abstand, derartige Systeme in der MAR explizit vorzuschreiben. Emittenten haben aber natürlich (wie schon bisher praktisch üblich) derartige Systeme dennoch zu unterhalten. In Österreich ergibt sich dies neben allgemeinen Organisationspflichten zur Verhinderung von Verwaltungsübertretungen bekanntlich auch aus § 119 Abs 4 BörseG. Interessant finden wir auch, dass die ESMA offenbar eine geringe Anzahl an Aufschüben als Argument dafür ansieht, dass bei den betroffenen Emittenten Nachschärfungsbedarf in den internen Systemen zur Verhinderung von Marktmissbrauch bestehen könnte.
  4. Das Regime für Marktsondierungen in Art 11 MAR ist nach Ansicht der ESMA schon bisher zwingend zu befolgen (mit unserer Rechtsauffassung deckt sich dies nicht). Nachdem man darüber nach der derzeitigen Textierung durchaus streiten kann, regt die ESMA an, den zwingenden Charakter des Marktsondierungs-Regimes ausdrücklich in der MAR zu regeln. Damit nicht genug: Die ESMA wünscht sich auch verwaltungsrechtliche Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung von Art 11 MAR. Inhaltlich schlägt sie dafür die eine oder andere Erleichterung vor (siehe dazu im Detail Rz 312 ff des Final Reports).
  5. Zu Insiderlisten regt die ESMA eine Änderung bei den aufzunehmenden Personen an: Es soll nunmehr geregelt werden, dass im Fall von juristischen Personen, die im Auftrag oder für Rechnung des Emittenten tätig werden oder anderweitig für diesen Aufgaben übernehmen nur eine natürliche Person (der Ansprechpartner des Emittenten bei der juristischen Person) aufgenommen werden muss. Das entspricht der Ansicht der deutschen BaFin zur geltenden Rechtslage und ist unserer Wahrnehmung nach auch in Österreich gelebte Praxis.
  6. In Folge des vorstehend erwähnten „Änderungsvorschlags“ hält es die ESMA für geboten, den Kreis der zur Führung von Insiderlisten Verpflichteten zu erweitern. Derzeit gilt jeweils eine eigene Listenführungspflicht bekanntlich „nur“ für den Emittenten und alle in dessen Auftrag oder auf dessen Rechnung handelnden Personen. Künftig soll eine Listenführungspflicht auch für Personen gelten, die „Aufgaben für den Emittenten wahrnehmen und mit anderen Personen Insiderinformationen des Emittenten teilen“. Die diesbezüglichen Erläuterungen der ESMA (siehe Rz 384 ff des Final Reports) finde ich zum Teil eher verwirrend, etwas widersprüchlich zu den Q&A der ESMA zur MAR und auch geeignet, Unklarheit über den derzeitigen Anwendungsbereich der Listenführungspflicht zu schaffen. Werden die Vorschläge der ESMA umgesetzt, dürften die Auswirkungen auf die Praxis im Vergleich zur derzeitigen Handhabe in Österreich und Deutschland aber im Ergebnis wohl überschaubar sein (zu einer Erweiterung könnte es aber, je nach derzeitiger Leseart der MAR, etwa um Subauftragnehmer von Auftragnehmern des Emittenten kommen). Kleinere Adaptierungen in den internen Compliance-Regelwerken werden sich daraus aber wohl ergeben.
  7. Die ESMA wünscht sich weiters eine ausdrückliche Verpflichtung von Emittenten, die in ihrem Auftrag oder auf ihre Rechnung tätigen Personen und die für sie Aufgaben wahrnehmenden Personen über den Insidercharakter einer offengelegten Information zu informieren. Das sehen Compliance-Standards der Emittenten unserer Wahrnehmung nach schon derzeit regelmäßig vor.
  8. Bei den Insidererklärungen (Art 18 Abs 2 MAR) soll statt der bisher vorgesehenen schriftlichen Erklärung eine solche auf einem dauerhaften Medium ausreichen (was wohl ebenso schon bisher, zumindest in Deutschland, der Behördenpraxis entspricht). Zudem soll eine Pflicht für Insider statuiert werden, im Fall der Aufnahme in die Insiderliste gegenüber dem Emittenten eine Insidererklärung abzugeben. Letzteres ist zu begrüßen, trägt es doch einer Sorge der Emittenten, nicht alle Insidererklärungen zu erlangen, Rechnung.
  9. Eine Absage erteilt die ESMA dem im Konsultationsprozess vielfach geäußerten Wunsch nach einer Entschlackung der Insiderliste. Es wird also auch weiterhin eine Vielzahl von Informationen zum jeweiligen Insider aufzunehmen sein. Das ist definitiv eine verpasste Chance: Auch wenn die ESMA dies anders sieht, die verfolgten Regelungsziele ließen sich auch mit deutlich weniger Information zum Insider ohne Qualitätsverlust erreichen und den Emittenten würde mit einer Entschlackung der Vorgaben für die Insiderliste das Leben (etwas) erleichtert.
  10. Enttäuschend finde ich auch die Ergebnisse des Reviews der Directors‘ Dealings. Wesentliche Themen wie die (unseres Erachtens überschießende) Ausweitung des Anwendungsbereichs auch auf Schuldtitel durch die MAR, die extrem weit gefassten meldepflichtigen Geschäfte und die viel zu weite Definition der in enger Beziehung zu Führungskräften stehenden juristischen Personen, standen bekanntlich noch nicht einmal auf dem Prüfstand. Selbes gilt zwar auch für die Belehrungspflicht der Führungskräfte gegenüber in enger Beziehung stehenden Personen und die vom Emittenten zu führende Liste der Meldepflichtigen. Beides erwähnt die ESMA im Final Report dennoch kurz, hebt dann aber die (nicht für jedermann leicht ersichtliche) Nützlichkeit für die Aufsichtsbehörden hervor und empfiehlt die Beibehaltung dieser Pflichten. Detaillierter auseinander gesetzt hat sich die ESMA mit der Meldeschwelle für Directors‘ Dealings. Hier empfiehlt die ESMA die Beibehaltung des derzeitigen Regimes und wir rechnen damit, dass es bis auf Weiteres für Österreich bei der EUR 5.000-Meldeschwelle bleibt.
  11. Relativ umfassend adressiert wird das Thema Handelsverbote (Art 19 Abs 11 MAR). Während das Handelsverbot selbst laut ESMA keiner Änderung bedarf, beschäftigt sich die europäische Aufsicht recht ausgiebig mit den Ausnahmen vom Handelsverbot (Art 19 Abs 12 MAR). Neben einer Ausweitung der Ausnahme für Mitarbeitergeschäfte und einer weiteren Ausnahme für die Annahme bereits vorher paktierter Optionen soll es künftig etwa (unter bestimmten Umständen) eine Ausnahme vom Handelsverbot für Geschäfte im Rahmen diskretionärer Vermögensverwaltung geben. Auch „Handelsaktivität“ im Fall von bestimmten Corporate Transactions (etwa Aktiensplits, Kapitalerhöhungen, Übernahmeangebote, Spin-offs etc) soll künftig unter Umständen vom Handelsverbot ausgenommen werden können. Selbes gilt für die Annahme von Schenkungen und Erbschaften durch Führungskräfte in geschlossenen Zeiträumen. Die Entscheidung über die Ausnahme vom Handelsverbot soll nach unserem Verständnis auch künftig und auch betreffend die neuen Tatbestände beim Emittenten bleiben. Wir gehen davon aus, dass dabei (wie bisher) eher zurückhaltend vorgegangen werden wird.

Aus Emittentensicht sind die Ergebnisse des MAR-Reviews bisher unseres Erachtens eher enttäuschend. Große administrative Erleichterungen sind wohl nicht zu erwarten. 

Mag. Gernot Wilfling

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