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Newsletter Corporate/M&A Issue 4|2021

Treuepflichtverletzung durch Aktionäre bei Wiederwahl eines Aufsichtsratsmitglieds

10. November 2021

Inwieweit Aktionäre einer AG gegenüber der Gesellschaft selbst und gegenüber ihren Mitgesellschaftern, also den anderen Aktionären, eine Treuepflicht trifft, ist im Detail einigermaßen umstritten. Zu einer besonderen Konstellation gibt es nun eine Entscheidung aus Deutschland. Im Kern ging es darum, dass die Aktionäre (mehrheitlich) ein Aufsichtsratsmitglied wiedergewählt hatten, welches langjährig gezeigt hatte, die Geschäftsführung nicht überwachen zu wollen.

Das OLG Stuttgart bestätigte zunächst die „horizontale Treuepflicht“. Sprich: Die Aktionäre haben bei der AG nicht bloß gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Mitaktionären eine Treuepflicht. Das ist soweit nicht überraschend. Treuepflichten treffen übrigens nicht nur den Mehrheitsaktionär (gegenüber den Minderheitsaktionären). Vielmehr ist anerkannt, dass (auch kleine) Minderheitsaktionäre gegenüber dem Mehrheitsaktionär oder allenfalls auch anderen Minderheitsaktionären „zur Treue verpflichtet“ sein können.

Dass es bei der Frage nach einer konkreten Treuepflichtverletzung immer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (wie das OLG Stuttgart betont), überrascht natürlich nicht. Im konkreten Fall hatte der Vorstand nicht nur Gesetze, sondern auch die Satzung verletzt. Der Aufsichtsrat, welcher hiervon Kenntnis hatte, reagierte nicht, obwohl das Abstellen von ihm bekannt werdenden Gesetzes- und Satzungsverletzungen durch den Vorstand (egal welchen Mittels es dazu letztlich bedarf) seine Pflicht wäre. Eine Rechtfertigung mit dem Argument „nützliche Gesetzesverletzung“ scheidet dabei zweifelsfrei aus (im konkreten Fall ging es etwa um das Unterlassen einer „kostspieligen Abschlussprüfung“, obwohl diese verpflichtend gewesen wäre). Insgesamt zeigten die handelnden Personen im Verfahren (es ging um die Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses zur Wahl der untauglichen Aufsichtsratsmitglieder) mehrfach ein interessantes Rechtsverständnis: Es sei etwa nicht Aufgabe des Aufsichtsrats, die rechts- und satzungsmäßige Geschäftsführung durch den Vorstand zu überwachen. Da fragt man sich natürlich: Was sonst? Dafür sei es Aufgabe des Aufsichtsrats, Anfechtungsklagen dadurch zu verhindern, dass Aktionären mangels Beschlussfeststellungen in der Hauptversammlung keine Gelegenheit dazu geboten werde. Wohl auch deswegen wurde überhaupt jahrelang gar keine ordentliche Hauptversammlung einberufen (sondern nach meinem Verständnis erst dann wieder, als die Wiederwahl des Aufsichtsrats notwendig wurde). Dass das OLG Stuttgart der Wiederwahl solcherart agierender Personen einen Riegel vorschob, obwohl sie immer noch von der Aktionärsmehrheit gestützt wurden, wird wohl niemanden wundern. Aber dazu bedurfte es eben eines Rückgriffs auf die Verletzung der Treuepflicht durch die der Wiederwahl zustimmenden Aktionäre.

Mag. Gernot Wilfling

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