In der Baupraxis besteht zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer zwar in der Regel Einigkeit darüber, dass eine Störung vorliegt. Es ist jedoch häufig strittig, ob die Störung dem Auftragnehmer einen Mehraufwand verursacht, der diesen zur Entgeltanpassung berechtigt. Die zentralen Fragen stellen sich insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausmaß des Mehraufwands sowie der erforderlichen Dokumentation und Beweisführung zu den bauwirtschaftlichen Auswirkungen.
Die Problematik der Nachweisführung bei Mehrkosten infolge von gestörten Bauabläufen hat in der rechtswissenschaftlichen, aber auch der bauwirtschaftlichen Literatur zuletzt an Dynamik gewonnen. Kaum ein anderes Thema steht so an der Schnittstelle zwischen Recht und Bauwirtschaft. Zahlreiche Autoren beschäftigen sich in verschiedenen rechtlichen und bauwirtschaftlichen Publikationen mit diesem Thema. Die Judikatur zu diesem Thema ist spärlich. Konkret beschäftigen sich nur einige wenige OGH-Entscheidungen mit der Frage der Entgeltanpas-sung (infolge von gestörten Bauabläufen).
In der aktuellen rechtswissenschaftlichen und bauwirtschaftlichen Literatur werden vor allem folgende Punkte durchaus strittig diskutiert:
- Anzuwendende Rechtsgrundsätze bei der Auslegung des § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB
- Angemessenheit des Anspruchs
- Abgrenzung der Elemente des Anspruchs dem Grunde nach sowie des Anspruchs der Höhe nach
- Zulässigkeit und Voraussetzungen des Anscheinsbeweises
- Anforderungen an die erforderliche Dokumentation
Ziel dieser Publikation ist es, im Rahmen der Diskussion über die Nachweisführung bei gestörten Bauabläufen zunächst die Auslegung der gesetzlichen Regelung des Mehrkostenanspruchs gemäß § 1168 Abs 1 ABGB auf die richtigen Wertungen zurückzuführen: Der Anspruch gemäß § 1168 ABGB ist kein Schadenersatzanspruch, sondern ein Erfüllungsanspruch. Ein Rückgriff auf schadenersatzrechtliche Grundsätze scheidet schon nach der Rechtsnatur des Mehrkostenanspruchs aus. Es sind vielmehr jene Wertungen und Rechtsnormen zu berücksichtigen, die mit der Rechtsnatur des Anspruchs vereinbar sind. Weiter soll aufgezeigt werden, dass die immer wieder erhobene Forderung nach einem sogenannten „Einzelnachweis“ auf einem grundlegenden Missverständnis zur Art der Nachweisführung zu Grund und Höhe bei gestörten Bauabläufen basiert.