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Newsletter Erbrecht und Vermögensnachfolge Issue 6|2021

OGH: Vermächtnisnehmer müssen zum Pflichtteil beitragen, selbst wenn der Nachlass ausreicht

16. Juli 2021

1. Einleitung

Der zweite Senat des OGH hat jüngst eine bemerkenswerte erbrechtliche Entscheidung gefasst. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die praktisch bedeutsame Frage zum Verhältnis zwischen Erben/Vermächtnisnehmern/Pflichtteilsberechtigten, konkret:

Hat der Vermächtnisnehmer zur Deckung des Pflichtteils selbst dann anteilig beizutragen, wenn die Verlassenschaft zur Deckung der Pflichtteilsansprüche ausreicht?

2. Die Entscheidung vom 26.05.2021, 2 Ob 13/21g

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der nicht pflichtteilsberechtigten Lebensgefährtin des Erblassers wurde ein Vermächtnis hinterlassen. Sohn M wurde zum Erben eingesetzt, Sohn A sollte nur den Pflichtteil bekommen. Wie bereits angesprochen, ging es in dieser Entscheidung darum, ob die Vermächtnisnehmerin zur Deckung des Pflichtteilsanspruchs herangezogen werden kann, selbst wenn die Verlassenschaft zur Deckung ausreicht.

Für diese Entscheidung war vor allem relevant, wie man die häufig in letztwilligen Verfügungen zu findende Formulierung „auf den Pflichtteil setzen“ versteht. Um sich der Bedeutung der Entscheidung klar zu werden, lohnt es die Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 darzustellen: Nach alter Rechtslage wurde diese Formulierung so interpretiert, dass der auf den Pflichtteil Gesetzte ein Vermächtnis erhält. Die eigentliche Vermächtnisnehmerin hatte nur dann zur Deckung des auf den Pflichtteil Gesetzten – also eines weiteren Vermächtnisses – beizutragen, wenn die Verlassenschaft nicht ausreichend liquide ist.

Mit dem ErbRÄG 2015 hat der Gesetzgeber allerdings eine Zweifelsregel aufgenommen, wonach vermutet wird, dass der Verstorbene einen Geldanspruch und kein Vermächtnis zuwenden wollte, wenn er jemanden „auf den Pflichtteil gesetzt“ hat.

Diese Unterscheidung hat erhebliche Auswirkungen. Ein Vermächtnisnehmer haftet nunmehr nicht bloß dann anteilsmäßig für die Befriedigung des „auf den Pflichtteil Gesetzten“, wenn die Verlassenschaft zur Deckung des Pflichtteils nicht ausreicht. Er hat auch dann anteilsmäßig beizutragen, wenn die Verlassenschaft über ausreichend Mittel verfügt. Im Ergebnis führt dies zur Kürzung des Vermächtnisses.

Folgendes Zahlenbeispiel soll die nunmehrige Rechtslage anschaulich darstellen:

Der Nachlass beträgt 100 und das Vermächtnis 10.

Die Pflichtteilsquote beträgt ¼, sohin 25.

Nach der neuen Rechtslage muss der Vermächtnisnehmer 2,5 zur Erfüllung des Pflichtteils beitragen; der Erbe 22,5.

3. Fazit und Empfehlung

Selbst der OGH drückt seine Zweifel aus, ob diese Rechtsfolge dem typischen Erblasserwillen entspricht. Unseres Erachtens und unserer Erfahrung nach ist dies in der Regel nicht der Fall.

Die ungewünschte Rechtsfolge der Beitragspflicht des Vermächtnisnehmers kann durch eine sorgfältige Formulierung des Testamentes vermieden werden: Konkret indem man die Formulierung „auf den Pflichtteil setzen“ vermeidet: dem Pflichtteilsberechtigten lässt man inhaltlich ein Vermächtnis zukommen, welches der Höhe nach an seinen Pflichtteil gekoppelt wird.

Die Entscheidung zeigt neuerlich, dass gerade in diesem komplexen und facettenreichen Rechtsgebiet viele Streitigkeiten durch eine erbrechtliche Beratung vermieden werden könnten. Das Erbrechtsteam von Müller Partner Rechtsanwälte unterstützt Sie im Anlassfall bei der Formulierung von letztwilligen Verfügungen und allenfalls auch gerichtlichen Durchsetzung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Gerne stehen wir für eine umfassende Beratung persönlich, wie auch telefonisch oder per Videokonferenz, zur Verfügung.

DDr. Katharina Müller, TEP
Dr. Martin Melzer, LL.M.

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