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Newsletter Familienrecht Issue 2|2022

Der Anspannungsgrundsatz

20. April 2022

Der Anspannungsgrundsatz entstammt dem Unterhaltsrecht und gilt beim Kindesunterhalt gleichermaßen wie beim Ehegatten- und Partnerunterhalt. Prinzipiell richtet sich die Höhe des Unterhalts nach der Leistungsfähigkeit des zur Unterhaltsleistung Verpflichteten. Relevanz ist dabei in erster Linie das Nettoeinkommen. Bleibt der Unterhaltspflichtige jedoch hinter seiner Leistungsfähigkeit zurück, muss er sich unter bestimmten Voraussetzungen an jenem Einkommen messen lassen, das seiner eigentlichen Leistungsfähigkeit entspricht; seine Kräfte werden also angespannt. Insoweit wird dabei auf ein fiktives Einkommen abgestellt.

Nach dem Anspannungsgrundsatz trifft den Verpflichteten die Obliegenheit alle seine persönlichen wie finanziellen Mittel und Möglichkeiten so gut wie möglich und zumutbar zur Einkommenserzielung zu nutzen. Die Möglichkeiten, nach denen der Anspannungsgrundsatz zur Anwendung kommt sind vielfältig und daher in aller Regel eine Frage des Einzelfalls.

Jedenfalls besteht die Obliegenheit nur, wenn 1. eine reale Erwerbsmöglichkeit besteht, 2. die Ausnützung dieser Möglichkeit dem Unterhaltspflichtigen zumutbar ist und 3. ihm die Unterlassung subjektiv vorwerfbar ist. Steht eine Erwerbsmöglichkeit tatsächlich nicht zur Verfügung, wäre ein höheres Einkommen nur durch idR unzumutbare Mehrarbeit („Überstunden“) erreichbar, oder hat der Verpflichtete nicht einmal Kenntnis von seiner Elternschaft, sind die Voraussetzungen nicht erfüllt.

Das Anwendungsfeld der Anspannung ist sehr breit. Einerseits besteht die Obliegenheit, Sozialhilfe zu beantragen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Andererseits hat der Verpflichtete das Stammvermögen zu verwenden, um Erträgnisse zu erwirtschaften. Auch in Zusammenhang mit Privatstiftungen hat sich der OGH (15.07.2015, 3 Ob 96/15m) mehrmals mit dem Anspannungsgrundsatz auseinandergesetzt:

Wenn der Unterhaltspflichtige Vermögen in eine Privatstiftung eingebracht hat, ohne dass ihm daraus angemessene Erträgnisse zufließen bzw der Unterhaltsberechtigte als Begünstigter angemessene Zahlungen erhält, sind der Unterhaltsbemessung fiktive Erträge zugrunde zu legen.

Sehr weit hat der OGH die Anspannung im folgenden Fall gezogen: Eine gerade zu diesem Zweck gegründete Privatstiftung erwarb Anteile an einer sanierungsbedürftigen Gesellschaft, die drei Jahre später wieder gewinnbringend veräußert wurden. Nach Ansicht des OGH hat es der Unterhaltspflichtige schuldhaft unterlassen, den letztlich erzielten Veräußerungsgewinn iHv EUR 3,2 Mio aus der Unternehmensbeteiligung selbst zu lukrieren. Vielmehr ermöglichte er der Privatstiftung, diese Geschäftsgelegenheit zu nutzen. Unterhaltsrechtlich sei der Unterhaltspflichtige deshalb so zu behandeln, als hätte er die Unternehmensbeteiligung selbst erworben.

Der Veräußerungserlös ist zwar Teil des Vermögensstamms und kann daher nicht als Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Allerdings kann der Unterhaltsschuldner, der sein Vermögen ertraglos angelegt hat, auf eine erfolgsversprechende Anlageform eines Verkaufserlöses angespannt werden. Unterhaltsrechtlich ist er deshalb so zu behandeln, als hätte er sein Kapital (hier also den – ohne „Zwischenschaltung“ der Stiftung zu erzielenden – Verkaufserlös von rund EUR 3,2 Mio) unter Abwägung von Ertrag und Risiko möglichst erfolgsversprechend angelegt.  

Empfehlung

Als Unterhaltsberechtigter ist darauf zu achten, welche Einkommensmöglichkeiten des Verpflichteten bestehen und welche unter Umständen angespannt werden können.

DDr. Katharina Müller, TEP / Dr. Martin Melzer, LL.M.

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