1. Einleitung
Wie oben dargestellt, besteht die Möglichkeit, dass ein Ehegatte dem anderen nach der Scheidung unterhaltspflichtig wird. Nach der Anspannungstheorie ist dem Unterhaltspflichtigen jene Arbeit zumutbar, die er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten, seiner Ausbildung und seines Könnens durchführen kann. Der Anspannungsgrundsatz wird somit dann verletzt, wenn der Unterhaltsschuldner sich mit einem geringeren Einkommen begnügt, als es ihm möglich wäre. Wenn es sich dabei um eine vorwerfbare Pflichtverletzung handelt, dann können zumutbare und erzielbare Vermögenserträgnisse bei der Unterhaltsbemessung berücksichtigt werden. Wenn ein berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt, ist der Anspannungsgrundsatz nicht anzuwenden. Wie kommt der Anspannungsgrundsatz zur Anwendung, wenn der Unterhaltsschuldner und selbstständige Unternehmer keine Gewinnausschüttung vornimmt, sondern Rücklagen bildet oder Rückstellungen durchführt?
2. OGH Entscheidung (OGH 14.06.2021, 5 Ob 85/21t)
Mit dieser Frage beschäftigt sich der OGH in der vorliegenden Entscheidung. Die Ehe zwischen der Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltsverpflichteten wurde geschieden. Unstrittig war, dass Unterhalt geleistet werden muss. Es stellte sich nur die Frage, ob auch fiktive Gewinnausschüttungen einer GmbH als Einkommensquelle in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen sind.
Laut OGH berechnet sich die Leistungsfähigkeit eines selbstständig Erwerbstätigen aus der Summe seines Gesamteinkommens abzüglich der Steuern und öffentlichen Abgaben, somit des ihm tatsächlich zustehenden Einkommens. Als Einkommen sind auch Erträgnisse von Vermögen, somit auch Gewinnausschüttungen, zu verstehen. Rücklagen und Rückstellungen sind bei der Bemessungsgrundlage einzubeziehen, da sie den Wert des Unternehmens erhöhen und somit vermögensbildend sind.
Dem Unterhaltsschuldner obliegt die Pflicht, die Gewinnentnahme durchzuführen, um den Unterhaltsberechtigten nicht zu benachteiligen. Wenn der Unterhaltspflichtige einziger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH ist, dann ist bei der Thesaurierung der Gewinne zu prüfen, wie sich partnerschaftlich eingestellte Ehegatten im gemeinschaftlichen Interesse unter den gegebenen Umständen und nach den konkreten Lebensverhältnissen verhalten hätten. Danach ist nur jener Teil in die Bemessungsgrundlage miteinzubeziehen, der vertretbarerweise ausgeschüttet hätte werden können.
Wenn der Unterhaltspflichtige nicht der einzige Gesellschafter einer GmbH ist, dann hängt es davon ab, ob eine künftige negative Entwicklung des Unternehmens, für die mit der Thesaurierung der Gewinne vorgesorgt hätte werden sollen, vorhersehbar war. Dabei unterliegt dem Unterhaltspflichtigen die Behauptungs- und Beweislast zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und zur wirtschaftlichen Vorhersehbarkeit einer künftigen negativen Entwicklung, für die vorgesorgt hätte werden sollen.
Wenn aufgrund unternehmerischer Gründe, zB ein geschmälerter Vermögensstand der Gesellschaft, keine Gewinnausschüttung vorgenommen wird, dann erfolgt keine Hinzurechnung zur Unterhaltsbemessungsgrundlage. Die Gewinnausschüttung darf auch nur dann erfolgen, wenn der Jahresabschluss festgestellt wurde und ein Gewinnverteilungsbeschluss vorliegt. Eine Vorauszahlung auf zukünftige Gewinnansprüche ist unzulässig.
3. Fazit
Grundsätzlich sind laut OGH auch Rückstellungen und Rücklagen einer Gesellschaft des Unterhaltsschuldners für die Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen, da diese vermögensbildend sind. Nur wenn ein plausibler unternehmerischer Grund vorliegt, dass keine Gewinnausschüttung durchzuführen ist, unterbleibt eine Hinzurechnung zur Unterhaltsbemessungsgrundlage. Des Weiteren muss für die Ausschüttung der Jahresabschluss festgestellt und ein Gewinnverteilungsbeschluss ergangen sein.
DDr. Katharina Müller, TEP / Dr. Martin Melzer, LL.M.