Neuausgabe mit 1. Mai 2023
Als ein bewährtes Tool der Vertragsgestaltung stellt die ÖNORM B 2110 eine gängige Grundlage vieler Bauverträge dar. Technische sowie rechtliche Vertragsbestimmungen werden nebst den gesetzlichen Bestimmungen des ABGB in einem einheitlichen Regelwerk zusammengeführt, um diese zu ergänzen sowie eine solide und möglichst faire rechtliche Grundlage für die Baupraxis zu schaffen. Mit 1. Mai 2023 erfolgte durch Austrian Standards eine Neuausgabe der ÖNORM B 2110 „Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen“. Gleichzeitig wurden auch die Werkvertragsnormen B 2118 „Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen unter Anwendung des Partnerschaftsmodells, insbesondere bei Großprojekten“ und A 2060 „Allgemeine Vertragsbestimmungen für Leistungen“ reformiert.
Die wichtigsten Änderungen im Detail
Für alle drei Werkvertragsnormen gilt, dass sie sprachlich, technisch aber auch rechtlich überholt wurden. Die inhaltlichen Änderungen und Neuerungen in ihren Kernaussagen zusammengefasst:
- Eine wesentliche Veränderung betrifft die Regelungen zum Fixgeschäft sowie zur Schlussfeststellung. Beide Bestimmungen wurden ersatzlos gestrichen. Durch das Entfallen der Bestimmungen zum Fixgeschäft ist bei Verzug nunmehr auf die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen des ABGB zurückzugreifen. Eine Schlussfeststellung muss, sofern gewünscht, in Zukunft vertraglich explizit vereinbart werden.
- Neu in Punkt 5.2.6 befinden sich Informationsrechte der Vertragspartner. Auf Verlangen sind beide Vertragspartner dazu verpflichtet, alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die zur Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen an die eingesetzten Baumaterialien bzw. Bauteile erforderlich sind. Dies ist in Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeits-Zertifikaten für Bauwerke zu begrüßen.
- Darüber hinaus wurde der Abschnitt 5.3.8 „Rücktritt vom Vertrag“ überarbeitet – als einer der Rücktrittsgründe, die zum sofortigen Rücktritt vom Vertrag berechtigen, war bis dato der Untergang der „bereits erbrachten“ Leistung erforderlich. Dies wurde insofern abgeändert, als dass ein Rücktritt vom Vertrag nun bereits bei Untergang „eines großen Teils“ der Leistung möglich ist. Der Rücktrittsgrund gemäß Punkt 5.8.1 f wurde insofern angepasst, als nur noch der Vertragspartner, der die Unterbrechung der Leistungen nicht zu vertreten hat, zum Rücktritt nach dieser Bestimmung berechtigt ist. Bislang war nicht eindeutig festgelegt, dass ein Rücktritt nur berechtigt ist, wenn der zurücktretende Vertragspartner die Hinderung der Leistungserbringung geradezu nicht zu vertreten hat.
- Die Bestimmungen der Vertragsrücktrittsfolgen gelten nunmehr auch bei Beendigung durch den AG nach den Bestimmungen des BVergG. Gemäß § 366 BVergG unterliegt der AG der Verpflichtung zur Beendigung des Vertrages, wenn mit dem AN wegen schwerwiegender Gründe des Vergaberechts kein Vertrag hätte geschlossen werden dürfen. Aus dieser Pflicht ergibt sich gleichzeitig ein Recht zur Beendigung.
- Abschnitt 7 präzisiert die Anforderungen an Leistungsabweichungen, eingeschlossen ihrer Folgen. So wird nun definiert, wann eine Leistungsänderung als zumutbar zu beurteilen ist. Die Neuauflage der ÖNORM B 2010 definiert eine Änderung des Leistungsumfangs jedenfalls dann als zumutbar, wenn sie mit den für die Erbringung der Vertragsleistung erforderlichen Produktionsfaktoren bewerkstelligt werden kann. Der Umstand, dass zusätzliche Produktionsfaktoren erforderlich werden, schließt aber die Zumutbarkeit nicht jedenfalls aus.
- Zur Geltendmachung der Ansprüche aus Gewährleistung wurden die Verjährungsfristen in Punkt 11.2.6 mit den gesetzlichen Bestimmungen des ABGB vereinheitlicht. Dem entsprechend beträgt die Gewährleistungsfrist nun einheitlich 3 Jahre. Die Rechte aus Gewährleistung können noch innerhalb von 3 weiteren Monaten nach Ablauf der Frist gerichtlich geltend gemacht werden.
- Die Werkvertragsnormen wurden um einen neuen Abschnitt „Streitigkeiten“ erweitert. Demzufolge ist einem institutionalisierten Schiedsgericht Vorrang gegenüber Ad-hoc-Schiedsgerichten einzuräumen.
- Die Vertragsstrafenregelung findet sich nun in Punkt 12 statt wie bisher in Punkt 6.5.3, wurde also verschoben.
- Darüber hinaus wurden die neuen Anhänge „Value Engineering“ und „Bonusregelungen“ ergänzend hinzugefügt. Der Begriff „Value Engineering“ wird erstmals in den Begriffsbestimmungen definiert. Er beschreibt sich als ein Verfahren zur Behandlung alternativer Ausführungsvorschläge des Auftragnehmers nach Vertragsabschluss.
Redline-Dokumente verschaffen Überblick
Um eine klar strukturierte Übersicht über alle Änderungen und Neuerungen zu gewährleisten, bietet Austrian Standards zu den drei Reformen der ÖNORMEN B 2110, B 2018 und A 2060 jeweils eine Redline-Version. Der Vorteil dieser besteht in der anwenderfreundlichen Aufarbeitung der Werkvertragsnormen – ein Farbleitsystem lässt auf den ersten Blick erkennen, welche Passagen in welcher Form abgeändert bzw. erneuert wurden. Anwender der ÖNORMEN erhalten so einen einfacheren und nachvollziehbaren Vergleich der Vorgängerversionen und der Neuauflagen.
Fazit
Obwohl mit den Neuauflagen der Werkvertragsnormen einige wenige Änderungen, Ergänzungen und Präzisierung einzelner Abschnitte einhergehen, finden sich schlussendlich keine substantiellen Änderungen in den Reformen. Der Begriff „Mehrkostenforderung“ für Ansprüche auf Anpassung von Entgelt und Bauzeit bleibt – trotz Kritik – unangepasst bestehen. Die Bestimmungen hinsichtlich eigenmächtiger Leistungserbringung sind weiterhin unbefriedigend, gibt es doch keine Differenzierung danach, ob solche Leistungen aus technischer Notwendigkeit erbracht wurden. Nach wie vor gibt es keine Regelungen, wie eine gemeinsame Dokumentation der Vertragspartner, insbesondere bei gestörten Bauabläufen, zu erstellen ist.
Katharina Müller / Sebastian Wiederkumm