Inhalt
I. Folgen von Starkregenereignissen: Hochwasser, Erdrutschen, Straßensperren…
II. Allgemein zur „Behinderung“
III. Risikoverteilung des ABGB
IV. Risikoverteilung nach der ÖNORM B2110
V. Unvorhersehbarkeit/ Unabwendbarkeit / „Höhere Gewalt“
VI. Preis- und Leistungsgefahr beim (zufälligen) Untergang
1. ÖNORM B2110 – Vertrag
2. ABGB – Vertrag
2.1 Preisgefahr
2.2 Leistungsgefahr
VII. Handlungsempfehlungen
VIII. Fazit
I. Folgen von Starkregenereignissen: Hochwasser, Erdrutschen, Straßensperren…
Aufgrund der aktuellen (Umwelt-)Ereignisse in Kärnten und der Steiermark empfiehlt sich ein Blick in den eigenen Bau(werk)vertrag. Wer trägt das Risiko für Überschwemmungen, Murenabgänge, Bauzeitverzögerungen aufgrund von Schlechtwetter, oder ähnlichem? Wer trägt das Risiko für das noch nicht fertiggestellte Gewerk? Welche Maßnahmen sollten gesetzt werden?
II. Allgemein zur „Behinderung“
Hochwässer, Erdrutsche und Straßensperren können jedenfalls zur Behinderung der Leistungserbringung führen. Eine Behinderung kann sowohl aus der Sphäre des AG als auch aus der Sphäre des AN kommen. Das ABGB und die ÖNORM B2110 treffen allerdings voneinander abweichende Sphärenzuordnungen. Das ABGB kennt eine sog. neutrale Sphäre; die ÖNORM B2110 hingegen ausschließlich AG- und AN-Sphäre.
III. Risikoverteilung des ABGB
Die Risikosphären werden beim ABGB-Vertrag in AG-, AN- und neutrale Sphäre eingeteilt. In die Sphäre des AG fallen etwa die Koordination der Leistungen und Vorleistungen, Erlangen der Baubewilligung, die Finanzierung und der Stoff (Baugrund, beigestellte Materialien und Pläne, bauliche Vorleistungen, etc.). Die Risikosphäre des AN umfasst etwa die Risiken des technischen Ablaufs des Betriebes, der Zufuhr der Rohstoffe, der Arbeitskräftebeschaffung sowie das Kalkulationsrisiko und die vertragliche Verpflichtung zur Prüfung der Ausführungsunterlagen. Der AN trägt überdies bei ABGB-Verträgen auch das Risiko für außergewöhnliche Witterungsverhältnisse (OGH 06.09.1988, 5Ob582/88). Kann ein Risiko keiner Sphäre zugeordnet werden, so fällt es in die „Neutrale-Sphäre“, die dem AN zugeordnet wird.
Die Sphärenzuordnungen sind (ergänzend) durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Es empfiehlt sich daher, eine Vertrags- und Ursachenprüfung durchzuführen. Möglicherweise kann argumentiert werden, dass sich das in die Sphäre des AG fallende Baugrundrisiko verwirklicht. Überdies bleibt bei ABGB-Verträgen zu prüfen, ob die gegenseitigen Pflichten (Zahlung und Leistungserbringung) so lange ruhen, bis die Leistung wieder möglich ist – ähnlich wie bei den Covid-19-bedingten Lieferengpässen (dazu im Detail Kletečka, Rechtsgutachten COVID 19).
IV. Risikoverteilung nach der ÖNORM B2110
Umstände, die außerhalb des Einfluss- und Wirkungsbereichs der Vertragsparteien liegen, werden in der ÖNORM B2110 im Wesentlichen dem AG zugeordnet. Der AG trägt auch das Risiko für unabwendbare, unvorhersehbare Ereignisse sowie für Ereignisse, die die Leistung objektiv unmöglich machen. Objektiv unmöglich ist eine Leistung, wenn die vertragsgemäße Leistungserbringung durch gewisse Umstände vollständig unmöglich gemacht wird. Ein Ereignis, mit dem die Vertragsparteien bei einem typischen Bauablauf nicht zu rechnen brauchen, gilt als unvorhersehbar.
Der Sphäre des AN werden alle auf Grundlage der Ausschreibungsunterlagen zur Preisermittlung und Ausführung getroffenen Annahmen (Kalkulationsrisiko), alle Dispositionen des AN sowie der von ihm gewählten Lieferanten und Subunternehmer zugeordnet. Ebenso werden dem AN vor allem alle Ereignisse zugerechnet, die nicht unter unvorhersehbare und unabwendbare Ereignisse fallen.
Pkt 7.2.1 letzter Satz ÖNORM B2110 regelt, dass, sofern im Vertrag zur Vorhersehbarkeit von außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen oder Naturereignissen nichts geregelt ist, 10-jährliche Ereignisse als vereinbart angenommen werden. Dies bedeutet, dass diese Ereignisse in die AN Sphäre fallen. Darüber hinausgehende Ereignisse fallen in die Sphäre des AG.
Pkt 7.2.1 Z 1 ÖNORM B2110 regelt weiters, dass Ereignisse, die die vertragsgemäße Ausführung (hinsichtlich der Bauzeit) objektiv unmöglich machen, der Sphäre des AG zugeordnet werden. Die Unvorhersehbarkeit ist dafür keine Voraussetzung, es sind daher auch vorhersehbare, gewöhnliche Schlechtwetterereignisse unter der Voraussetzung der vertragsmäßigen Unmöglichkeit umfasst. Eine Unmöglichkeit im Sinne der ÖNORM B2110 liegt nur dann vor, wenn der AN aufgrund eines Schlechtwettereignisses in Verzug gerät und keine Möglichkeit hat, den Bauzeitverlust durch Änderung der Umstände der Leistungserbringung (etwa Forcierung) oder zusätzlicher Leistungen aufzuholen. Die Folgen daraus trägt der AG.
Hinsichtlich der Risikoverteilung eines ÖNORM B2110 Vertrags ist daher klar, dass wenn keine besondere Vereinbarung zu besonderen Witterungsverhältnissen getroffen wurde, ein über das 10-jährige Ereignis hinausgehendes Ereignis (am Ort der Baustelle) und die daraus resultierenden Nachteile in die Sphäre des AG fällt. Offen bleibt, wie etwa mit Erdrutschen und Straßensperren umzugehen ist, wenn diese nicht als sich wiederholende, jährliche Ereignisse einzustufen sind. Dafür benötigt es eine genauere Betrachtung der in die Sphäre des AG fallenden Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit bzw „Höheren Gewalt“.
V. Unvorhersehbarkeit / Unabwendbarkeit / „Höhere Gewalt“
„Nur ein unabwendbares Elementarereignis bedeutet höhere Gewalt, sei es, dass es überhaupt nicht verhindert werden kann, sei es, dass es auch durch äußerste, den gegebenen Umständen angemessene Sorgfalt und durch dem Verantwortlichen zumutbare Mittel in seinem Eintritt oder in seinen Wirkungen auf den Schadensfall nicht hintangehalten werden kann“ (RIS-Justiz RS0027309).
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner zu 1 Ob 66/19s ergangenen Entscheidung ausgesprochen, dass es sich bei einem 200-jährigen Hochwasser um höhere Gewalt handelt. Anders hat der OGH zu 2 Ob 243/14w beispielsweise bei „starkem Wind“ entschieden. 97 km/h Windgeschwindigkeit stellt noch keine höhere Gewalt dar.
Ob es sich um ein unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis handelt ist eine Einzelfallentscheidung. Im Zusammenhang mit Gefährdungshaftungen hat der OGH in stRsp festgestellt, dass eine außergewöhnliche Betriebsgefahr auch durch höhere Gewalt wie zB Erdrutsch, Felssturz usw herbeigeführt werden kann (RIS-Justiz RS0058804), wodurch angenommen werden kann, dass von Starkregen ausgelöste Erdrutsche und Felsstürze als unabwendbare Ereignisse bzw. „Höhere Gewalt“ zu qualifizieren wären und im ÖNORM-Vertrag in die Sphäre des AG fallen.
Hinsichtlich der aufgetretenen Hochwässer in Kärnten und der Steiermark ist daher einzelfall- und baustellenbezogen zu prüfen, ob die von den Starkregenereignissen ausgelösten Elementarereignisse unvorhersehbar und unabwendbar waren und „Höhere Gewalt“ darstellen. Kommt man zu dem Ergebnis, dass es sich um „Höhere Gewalt“ /ein unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis handelt, fallen die Folgen daraus in die Sphäre des AG.
VI. Preis- und Leistungsgefahr beim (zufälligen) Untergang
Wer trägt das Risiko der Beschädigung oder des Untergangs des Werks zwischen Vertragsabschluss und Übernahme?
1. ÖNORM B2110 – Vertrag
Gemäß Pkt 12.1.1 Abs 1 ÖNORM B2110 trägt der AN bis zur Übernahme des AG für seine erbrachte Leistung die Gefahr. Hierunter fallen insbesondere Zerstörung (Untergang), Beschädigung oder Diebstahl. Dies gilt auch für beigestellte Materialien, Bauteile oder sonstige Gegenstände, die der AN vertragsgemäß vom AG oder von anderen AN übernommen hat. Dabei trägt der AN sowohl die Preis- als auch die Leistungsgefahr. Er muss somit das Werk nochmals erbringen und hat gleichzeitig für die untergegangene Leistung keinen Entgeltsanspruch.
Werden jedoch Leistungen […] durch ein unabwendbares Ereignis beschädigt oder zerstört und hat der AN alle zur Abwehr der Folgen solcher Ereignisse notwendigen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, trägt der AG die Gefahr (Pkt 12.1.1 Abs 2 ÖNORM B 2110)
Zusammenfassend ist der AN nur von der Haftung befreit, wenn er alle notwendigen und zumutbaren (bzw. äußerst möglichen (Wilhelm in ecolex 2000, 624; aA OGH 5 Ob 582/88 wbl 1988, 401)) Maßnahmen getroffen hat, um die Folgen eines unabwendbaren Ereignisses gering zu halten. Im Falle von Starkregenereignissen bzw. Hochwässern werden die Maßnahmen wohl überschaubar sein, die der AN ergreifen kann. Der AN wird alles Zumutbare unternehmen müssen, um die Folgen des Ereignisses so gering wie möglich zu halten.
2. ABGB – Vertrag
2.1 Preisgefahr
§ 1168 a ABGB Satz 1 lautet wie folgt: „Geht das Werk vor seiner Übernahme durch einen bloßen Zufall zugrunde, so kann der Unternehmer kein Entgelt verlangen. Der Verlust des Stoffes trifft denjenigen Teil, der ihn beigestellt hat.“ Grundsätzlich trägt daher der AN die Preisgefahr mit folgenden Ausnahmen:
- Das Unterbleiben der Leistung liegt in der Sphäre des AG (§ 1168 Satz 1 ABGB).
- Der AG stellt einen untauglichen Stoff zur Verfügung (§ 1168a Satz 3 ABGB).
- Bei Annahmeverzug des AG (§ 1419 ABGB).
2.2 Leistungsgefahr
Ist das Werk durch Zufall untergegangen und eine Neuherstellung endgültig unmöglich geworden, erübrigt sich die Frage, ob der AN verpflichtet ist, eine Neuherstellung vorzunehmen. Die Leistungsgefahr trägt in diesem Fall der AG (Krejci in Rummel, ABGB3 § 1168 a Rz 38). Liegt eine der drei Ausnahmen der Preisgefahr vor, so hat der AN Anspruch auf Abgeltung der bisher erbrachten Leistungen.
Sofern die Wiederherstellung keinen unverhältnismäßigen Aufwand verursacht, trägt der AN die Leistungsgefahr: Der AN ist zur Wiederherstellung verpflichtet. Die Preisgefahr trägt der AN (§ 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB), wenn nicht eine der drei gesetzlichen Ausnahmen vorliegt: Er hat keinen Anspruch auf den Werklohn für die bereits erbrachten, aber untergegangenen Leistungen.
Kommen die Ursachen für den Untergang der Leistung aus der Sphäre des AG gilt: Der AG trägt die Leistungsgefahr: Der AN hat keine Wiederherstellungs- oder Reparaturpflicht (§ 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB). Der AG trägt die Preisgefahr: Obwohl der AN das Werk nicht vollendet hat, hat er einen eingeschränkten Entgeltsanspruch.
VII. Handlungsempfehlungen
Zunächst gilt es, den eigenen Bau(werk)vertrag gründlich zu prüfen. Wurden etwaige Sphärenzuordnungen getroffen? Beinhaltet der Vertrag Regelungen, die vom Gesetz bzw. der ÖNORM B2110 abweichen? Gibt es eine (seit der Covid-19 Pandemie häufige) Regelung zur „Höheren Gewalt“?
Darüber hinaus empfiehlt es sich, eine Störungsmeldung unter detaillierter Darlegung der Störung (Ursache) sowie den daraus resultierenden Folgen an den AG zu senden. Ursachen für Störungen aufgrund der Starkregenereignisse können Straßensperren, der Untergang von Stoffen, das sich verwirklichende Baugrundrisiko, usw. sein.
Gleichzeitig sollten Mehrkosten dem Grunde nach angemeldet werden. Die Anmeldung sollte auch den Hinweis auf „Mehrzeit“ beinhalten, sofern es aufgrund des Ereignisses zu einer Bauzeitverzögerung kommt.
Weiters empfehlen wir eine detaillierte Dokumentation. Wichtig ist dabei, die Ursache und deren Auswirkung zu dokumentieren. Zu dokumentieren sind daher die terminlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die Auswirkungen auf die Ressourcen und die Zuordnung der Auswirkungen auf das eigene Gewerk, andere Gewerke und das Gesamtprojekt.
VIII. Fazit
Zusammengefasst hängt die Risiko- und Gefahrtragung von der Sphärenzuordnung ab. Bei Verträgen, auf die die ÖNORM B 2110 anwendbar ist und keine abweichenden Vereinbarungen getroffen wurden, ist klar, dass jedes über das 10-jährige Umweltereignis hinausgehende Ereignis in die Sphäre des AG fällt. Es wird zudem auch einzelfallbezogen zu prüfen sein, ob ein Ereignis „Höhere Gewalt“ darstellt und damit jedenfalls in die Sphäre des AG fällt.
Es gilt hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise zu unterscheiden, ob das Gewerk zur Gänze untergegangen ist und eine Wiederherstellung des Gewerkes wirtschaftlich sinnvoll ist oder ob der AN lediglich in seiner Ausführung behindert wurde.
Jedenfalls sind eine Störungsmeldung, die Anmeldung der Mehrkosten- und Bauzeitverlängerung sowie die Dokumentation der Ursachen und Wirkungen zu empfehlen.
Gerne stehen wir für die Prüfung Ihres Vertrages und die Beantwortung von Fragen zu den oben angesprochenen Themen zur Verfügung.
DDr. Katharina Müller, TEP / Mag. Christoph Lintsche