Der Dieselskandal bei der (in Deutschland) börsenotierten Volkswagen Aktiengesellschaft dreht sich längst nicht nur um geschädigte Autokäufer:innen. Auch Anleger:innen, die bei früherem Bekanntwerden vielleicht anders disponiert hätten, suchen nach Haftungsgrundlagen und -subjekten. Eine erste Entscheidung dazu des OLG Stuttgart (20Kap2/17) liefert die eine oder andere interessante Erkenntnis, speziell für Konzern- bzw Beteiligungskonstellationen.
Art 17 Marktmissbrauchsverordnung als Schutzgesetz zugunsten der Anleger:innen
Emittenten, die nicht oder verspätet sie unmittelbar betreffende Insiderinformationen veröffentlichen, haben bekanntlich mit erheblichen Verwaltungsstrafen seitens der Finanzmarktaufsicht zu rechnen. Art 17 MAR über die Ad-hoc-Pflicht wird aber (recht unumstritten) auch als Schutzgesetz zugunsten der Anleger:innen qualifiziert. Das bedeutet, durch die Verspätung geschädigte Anleger:innen können Schadenersatzansprüche gegenüber den Emittenten (wohl aber nicht gegenüber dessen Vorstandsmitgliedern persönlich) geltend machen. Das bestätigt im Kern auch das OLG Stuttgart wieder. Zuvor hatte berets 2021 das OLG Braunschweig geurteilt, dass es im Zuge des Dieselskandals zu einer schuldhaft (deutlich) verspäteten Ad-hoc-Veröffentlichung kam und die Tür für geschädigte VW-Aktionär:innen geöffnet.
Veröffentlichungspflicht auch der Muttergesellschaft Porsche SE
In der gegenständlichen Konstellation hat die primär betroffene, selbst börsenotierte VW AG mit der Porsche SE eine Muttergesellschaft, die auch selbst börsenotiert und damit selbst Adressatin der Ad-hoc-Pflicht ist. Und mit deren potenziellen Verstoß gegen ihre eigene Ad-hoc-Pflicht hatte sich nun eben das OLG Stuttgart auseinander zu setzen. Hier stellen sich viele komplexe Fragen rund um unmittelbare Betroffenheit, doppelte Veröffentlichungspflicht, Wissenszurechnung und Informationsbeschaffungspflicht, deren detaillierte Aufarbeitung im Rahmen eines Newsletters unmöglich ist. Hier nur ein paar wesentliche Aussagen aus der deutschen Entscheidung, denen man eine gewisse Relevanz für Österreich ob der gleichen Rechtslage nicht absprechen kann:
- Die Veröffentlichungspflicht nach Art 17 MAR besteht grundsätzlich sowohl für die börsenotierte Muttergesellschaft wie für die Tochtergesellschaft.
- Bei der Frage nach der unmittelbaren Betroffenheit der Mutter-Emittentin Porsche von Vorgängen in der Tochter-Emittentin-VW kommt es auf eine Gesamtabwägung aller Umstände an. Etwa auf Kursbewegungen bei den eigenen Aktien, ob das Ereignis eher der eigenen oder eine fremden Sphäre entstammt, Grad der Betroffenheit der eigenen Tätigkeit des Emittenten bzw seines Unternehmensgegenstands. Letzteres hängt bei einer Holding etwa von der Beteiligungshöhe und der relativen Bedeutung der Beteiligung für die Holding gegenüber anderen Aktiva ab. Vorgänge in vollkonsolidierten Tochtergesellschaften sollen (auch) die Mutter-Gesellschaft immer unmittelbar betreffen.
- Die tatsächliche Erfüllbarkeit der Ad-hoc-Pflicht ist nicht nur tatbestandliche Voraussetzung für eine zivilrechtliche Haftung gegenüber geschädigten Anleger:innen, sondern auch für Verwaltungsstrafen.
- Den Emittenten trifft jedoch eine Sorgfaltspflicht zur Informationsbeschaffung und Wissensorganisation.
- Die Reichweite der Wissensorganisation im Konzern ist höchst umstritten. Dazu die zum Teil doch recht erstaunlichen Aussagen des OLG Stuttgart:
- Wird bei einer Tochtergesellschaft Wissen fingiert, weil deren Vorstandsmitglieder Informationen fahrlässig nicht kannten, so soll diese Rechtsfolge nicht auch bei der Muttergesellschaft eintreten, selbst wenn diese über personenidentische Organe verfügt.
- Eine Verletzung der Wissensorganisationspflicht seitens einer Muttergesellschaft soll nur in Ausnahmefällen auf Handlungen von Mitarbeiter:innen ihrer Tochtergesellschaften gestützt werden können.
- Das insiderrechtliche Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen steht einer Informationsweitergabe an die Mutter-Gesellschaft zum Zwecke der Ad-hoc-Veröffentlichung entgegen.
- Nur ein (hier nicht gegebenes) faktisches Konzernverhältnis, nicht aber ein sonstiges Beteiligungsverhältnis könne die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht von Organmitgliedern durchbrechen. Ein Informationsfluss wird damit möglich, wenn dieser Grundlage für eine effektive und sachgemäße Ausübung der Konzernleitung ist.
Mag. Gernot Wilfling