Werkunternehmer behalten den Anspruch auf Sicherstellung auch, wenn der Auftraggeber Mängel geltend macht und einen Teil des Entgelts in Form eines Haftrücklasses einbehält.
Aktuelle Entscheidung – 3 Ob 28/23y
In der aktuellen Entscheidung erbrachte die Klägerin Bauleistungen für die Beklagte bei vier Bauvorhaben. Nach Differenzen bei der Abrechnung einigten sich die Parteien über die Schlussrechnungsbeträge der einzelnen Bauvorhaben, jedoch nicht darüber, was deren Fälligkeit betrifft. Die Beklagte überwies am 20.10.2021 Teilbeträge für drei der Bauvorhaben iHv insgesamt € 16.839,88. Allerdings akzeptierte die Beklagte die von der Klägerin übermittelten Haftrücklassgarantien von insgesamt € 28.482 nicht, da Mängel vorlägen und die Haftrücklassgarantien nur auf drei Jahre und drei Monate ausgestellt seien. Daraufhin forderte die Klägerin die Beklagte auf, eine Sicherstellung nach § 1170b ABGB in der Höhe der Haftrücklässe zu erbringen. Die Beklagte übermittelte der Klägerin vier „Sicherstellungsurkunden“ der 50%igen Gesellschafterin der Beklagten. Diese sandte die Klägerin zurück, da diese ihrer Ansicht nach nicht dem Gesetz entsprachen und setzte Nachfristen zur Sicherstellung nach § 1170b ABGB mit der Erklärung, dass sie bei Verstreichen der Fristen die Aufhebung der Werkverträge erkläre. Die Beklagte leistete keine weitere Sicherstellung.
Die Klägerin forderte in der Mahnklage zunächst den restlichen Werklohn, reduzierte später die Klage auf den Betrag der Haftrücklässe. Die Klägerin stützte ihr Klagsbegehren auf die rechtmäßige Vertragsaufhebung nach § 1170b ABGB, da die Beklagte die geforderte Sicherstellung nicht erbracht habe. Aus diesem Grund stehe der Beklagten kein Haftrücklass mehr zu und somit sei ihr eine Einrede mangelnder Fälligkeit verwehrt.
Die Beklagte lehnte die Zahlung ab und behauptete Mängel an allen vier Bauvorhaben, für die sie die Sicherstellung zurückhielt. Auch wandte sie ein, dass die Klägerin die Verbesserung und Mängelbehebung verweigere und, dass die Voraussetzungen für eine Vertragsauflösung nicht gegeben seien.
Das Erstgericht gab dem Klagsbegehren der Klägerin statt, da die vorgelegten Sicherstellungsurkunden den gesetzlichen Anforderungen nicht genügten. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil größtenteils, erlaubte jedoch eine Revision. Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Der OGH stellte klar, dass nach der allgemeinen Regelung des § 1170b ABGB der Werkunternehmer das Recht hat, eine Sicherstellung des Werklohns bis zur vollständigen Bezahlung des Entgelts zu verlangen. Dieses Recht kann nicht abbedungen werden. Die Sicherstellung nach § 1170b ABGB bleibt unabhängig davon bestehen, aus welchem Grund das Entgelt vom Werkbesteller einbehalten wird, so also auch wegen eines aufgrund von Mängeln einbehaltenen Haftrücklasses. Selbst wenn ein Werkbesteller das vereinbarte Entgelt bis auf den rechtmäßig einbehaltenen Haftrücklass bezahlt hat, hat er noch nicht das gesamte vereinbarte Entgelt geleistet. Sollte der Werkunternehmer von ihm Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB verlangen, muss der Werkbesteller dieser Forderung entsprechen, um in weiterer Folge keinen Grund für einen Rücktritt zu geben. Dem Argument der Beklagten, dieses Ergebnis wäre absurd, sei doch der Haftrücklass vereinbart worden, folgt der OGH nicht, da der Haftrücklass bloß auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht und der gesetzliche Sicherstellungsanspruch nach § 1170b ABGB nicht vertraglich abdingbar ist. Der OGH stellte abschließend auch klar, dass die von der Beklagten übermittelten Sicherstellungsurkunden keine tauglichen Sicherungsmittel im Sinne des § 1170b ABGB darstellen.
Fazit
Die Sicherheitspflicht des Bestellers besteht bis zur vollständigen Bezahlung des Entgelts. Dieses Recht besteht auch bei mangelhafter Bauleistung. Selbst wenn ein Haftrücklass vereinbart wurde, ändert dies nichts an der Pflicht des Bestellers, Sicherheit gemäß § 1170b ABGB zu leisten. Es ist daher zur Vermeidung eines Vertragsrücktritts empfehlenswert, einem Sicherstellungsbegehren stets nachzukommen, solange nicht der gesamte Werklohn bezahlt wurde.
Bernhard Kall
Erschienen in der Österreichischen Bauzeitung 6 2024