Die Privatstiftung eignet sich wie kaum eine andere Rechtsform als Instrument der Nachfolgeplanung. Der Großteil der seit 1993 gegründeten Privatstiftungen hat das Ziel, Vermögen für die nächsten Generationen zu sichern und langfristig zusammenzuhalten. Die Privatstiftung schützt aber nicht vor den Ansprüchen der Pflichtteilsberechtigten; vielmehr kann auch die Privatstiftung selbst mit Pflichtteilsansprüchen konfrontiert sein. Diese können bis zu 50 Prozent des Stiftungsvermögens betreffen. Das Stiftungsrecht steht in einem grundlegenden Spannungsverhältnis zum Pflichtteilsrecht: während die Stiftung regelmäßig auf den Vermögenszusammenhalt ausgerichtet ist, strebt das Pflichtteilsrecht Vermögensverteilung zum Zwecke des Ausgleichs an.
Gemäß § 781 ABGB sind Schenkungen, die ein Pflichtteilsberechtigter (in der Regel Ehegatten und Kinder) oder ein Dritter vom Erblasser zu dessen Lebzeiten oder auf den Todesfall erhalten hat, der Verlassenschaft hinzuzurechnen und auf einen allfälligen Geldpflichtteil des Geschenknehmers anzurechnen. Nach § 781 Abs 2 ABGB stellen die Vermögenswidmung an eine Privatstiftung und die Einräumung der Stellung als Begünstigter einer Privatstiftung, soweit ihr der Verstorbene sein Vermögen gewidmet hat, hinzu- und anrechnungspflichtige Schenkungen dar.
Vermögenszuwendungen an eine Privatstiftung sind daher auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten dem Wert der Verlassenschaft rechnerisch hinzuzuschlagen, die Pflichtteile sind von der durch die Hinzurechnung der Vermögenswidmung vergrößerten Verlassenschaft zu ermitteln. Reicht die Verlassenschaft zur Deckung der (erhöhten) Pflichtteile nicht aus, haftet die Privatstiftung für den Fehlbetrag mit dem gewidmeten Vermögenswert.
Die Privatstiftung ist keine pflichtteilsberechtigte Person, weshalb für sie grundsätzlich die Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB gilt: Vermögenszuwendungen an die Privatstiftung sind nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb von zwei Jahren vor dem Tod des Verstorbenen wirklich gemacht wurden. Hier liegt die Betonung auf dem Wort „wirklich“. Durch diese Formulierung des ErbRÄG 2015 fand die Vermögensopfertheorie Eingang in das Gesetz. Da nicht näher definiert wird, wann eine Schenkung als wirklich gemacht anzusehen ist, ist für den Zeitpunkt des Eintritts des Vermögensopfers auf die umfassende Literatur und Judikatur zu verweisen, die im Wesentlichen auf die konkreten Einflussrechte des Verstorbenen in der Privatstiftung abstellt.
Viele „klassisch“ ausgestaltete Privatstiftungen, in denen sich die Stifter umfassende Änderungs- und/oder Widerrufsrechte vorbehalten haben, werden daher mit Ansprüchen der Pflichtteilsberechtigten zu rechnen haben, sofern deren Pflichtteil unter Berücksichtigung des Stiftungsvermögens nicht abgedeckt ist. In diesem Zusammenhang sollte von den Gestaltungsmöglichkeiten der Pflichtteilsdeckung bewusst Gebrauch gemacht werden. Generell gilt nämlich: Alles, was ein Pflichtteilsberechtigter zu Lebzeiten, von Todes wegen oder auf den Todesfall vom Verstorbenen erhält – auch als Begünstigter einer Privatstiftung – mindert seinen Geldpflichtteil. Daraus ergeben sich interessante Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere wenn einem Pflichtteilsberechtigten eine qualifizierte Begünstigtenstellung eingeräumt wird, sodass diese im Zuge einer Bewertung einen relevanten, zur Pflichtteilsdeckung geeigneten Vermögenswert darstellt.[1]
[1] Siehe dazu im Detail Müller/Aschauer, Aktuelle Bewertungsfragen im Pflichtteilsrecht bei der Gestaltung der Unternehmensnachfolge, JEV 2021, 4
Dr. Martin Melzer , DDr. Katharina Müller
Der Artikel erschien im Stiftungsnewsletter Frühjahr 2024 der Zürcher Kantonalbank Österreich AG