Im Schadenersatzrecht nach steht die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands im Vordergrund. Doch wie verhält es sich, wenn der Geschädigte einen Neubau statt einer Reparatur wählt? Ein OGH Urteil stellt klar: Der Anspruch bleibt bestehen, auch wenn der Schaden durch eine Neukonstruktion beseitigt wird, solange die Kosten angemessen sind.
Die allgemeine Regel des § 1323 ABGB zum Schadenersatz lautet, dass in erster Linie alles in den vorigen Stand zurückversetzt werden (Naturalrestitution), oder, wenn dies nicht möglich oder untunlich ist, der Schätzungswert vergütet werden soll. Primär soll also der Schaden durch Wiederherstellung des gleichwertigen Zustandes wie vor dem Schadensereignis erfolgen. Die Naturalrestitution scheidet nur aus, wenn eine Wiederherstellung gar nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand an Kosten und Mühe (Untunlichkeit) verbunden wäre. Jedoch hat der Geschädigte auch dann einen Anspruch auf die notwendigen Reparatur- bzw Behebungskosten, wenn er einen besseren als den vertragsgemäßen Zustand herstellt.
„Fiktive“ Reparaturkosten sind grundsätzlich nur ersatzfähig, wenn es sich um Deckungskapital für eine geplante Reparatur handelt. „Fiktive“ Reparaturkosten stellen nach der Rsp einen Reparaturkostenvorschuss dar und setzen voraus, dass der Geschädigte eine Reparaturabsicht hat. Sie sind nicht allein auf die objektive Wertminderung beschränkt. Hat der Geschädigte jedoch gar nicht die Absicht, den Schaden zu reparieren, oder kann er diese Absicht nicht nachweisen, ist sein Ersatzanspruch auf die objektive Wertminderung begrenzt und es kann ein Rückforderungsanspruch des Schädigers entstehen. Der Grund hierfür liegt aus Sicht des OGH darin, dass ein voller Ersatz bloß fiktiver Kosten bei geringerer Wertminderung zu einer (mit der Schadenersatzrecht unvereinbaren) Bereicherung des Geschädigten führen würde.
Entscheidung – OGH 2 Ob 4/22k
Die Klägerin betreibt ein Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen. Bei einem Unfall an einem Bahnübergang, für dessen Folgen der beklagte Verband haftet, wurde ein ihr gehörendes Wartehäuschen beschädigt. Die vordere senkrechte Kante wurde nahezu komplett herausgebrochen und das seitliche Mauerwerk wies zumindest einen starken Riss über die gesamte Höhe der Mauer auf. Die Klägerin entschloss sich, das Wartehäuschen nicht zu reparieren, sondern ersetzte es durch eine Neukonstruktion. Daraufhin begehrte die Klägerin Schadenersatz iHv EUR 16.110 von der Beklagten. Dieser Betrag wäre für eine (bloße) Reparatur erforderlich gewesen und würde ihr daher auch nach der Neuerrichtung zustehen, die zumindest doppelt so viel gekostet habe. Die Beklagte wandte ein, dass die Klägerin keinen Anspruch auf „fiktive Reparaturkosten“ hätte, weil das Wartehäuschen nicht repariert worden, sondern ein völlig neues errichtet worden wäre. Das Begehren wäre zudem auch in der Sache überhöht. Das Vorbringen der Klägerin zu den (höheren) Kosten der Neuerrichtung bestritt die Beklagte hingegen nicht.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung iHv 12.925€ und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, dass eine Reparatur den zugesprochenen Betrag gekostet hätte. Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht wies das Begehren zur Gänze ab. Der OGH stellte die Entscheidung des Erstgerichts wieder her und begründete dies im Wesentlichen damit, dass ein Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten nicht dadurch entfällt, dass der Schaden nicht nur Reparatur im engeren Sinne, sondern durch Neuerrichtung beseitigt wurde. Untunlichkeit hat die Beklagte weder eingewandt, noch wäre eine solche im konkreten Fall erkennbar gewesen.
Fazit
Der Schadenersatzanspruch entfällt nicht dadurch, dass ein Geschädigter den Schaden durch einen Neubau statt durch eine Reparatur beseitigt hat. Der Anspruch ist aber auf jenen Aufwand begrenzt, der zur Beseitigung des Schadens, also für die Reparatur, notwendig gewesen wäre.
Mathias Ilg
Den in der Österreichischen Bauzeitung (8 2024) erschienen Artikel finden Sie hier zum download