1. Einleitung
Mit der im Titel genannten Entscheidung beantwortete der OGH eine in der wissenschaftlichen Literatur viel diskutierte Frage und brachte eine von Praktikern lang ersehnte Klarstellung. Diese betrifft das Bedürfnis von Gesellschaftern, insbesondere von Familiengesellschaften, „unter sich“ zu bleiben und das Eindringen unbekannter Dritter zu verhindern. Dazu dienen sogenannte Aufgriffsklauseln in Gesellschaftsverträgen.
Aufgriffsrechte sind Vereinbarungen, die Gesellschaftern das Recht geben, den Geschäftsanteil eines austretenden Gesellschafters zu erwerben. In aller Regel wird zugleich auch ein Aufgriffspreis oder die Bewertungsmethode für diesen festgelegt. Eine solche Klausel kann für verschiedenste Fälle vereinbart werden. Allgemein üblich ist sie für den Todesfall oder auch generell bei Veräußerungsabsicht außerhalb des Familienkreises. Bislang umstritten war die Vereinbarung eines Aufgriffsrechts für den Insolvenzfall des Gesellschafters.
2. Entscheidung OGH 16.09.2020, 6 Ob 64/20k
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Nach der Neufassung des Gesellschaftsvertrags soll die rechtskräftige Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters ein Aufgriffsrecht der übrigen Gesellschafter zur Folge haben. Dabei soll der Kaufpreis unter Vornahme eines Abschlags von 20% vom begutachteten Wert ermittelt werden. Das Firmenbuchgericht verweigerte die Eintragung dieser Klausel, wobei rechtlich zwei Eintragungshindernisse bestehen können: 1. Prinzipielle Unzulässigkeit einer solchen Klausel im Insolvenzfall und 2. Abfindungspreis.
Die erste Frage beschied der OGH positiv. Die insolvenzrechtlichen Sonderbestimmungen, die den Insolvenzschuldner daran hindern würden, eine solche Vereinbarung zu treffen, sind auf Gesellschaftsverträge nämlich nicht anwendbar.
Auch wenn ein Aufgriffsrecht dem Grunde nach zulässig ist, wurde im konkreten Fall die Sittenwidrigkeitsschranke zum Verhängnis – womit wir beim zweiten Eintragungshindernis angekommen sind. Der OGH qualifizierte diese Klausel nämlich wegen Gläubigerbenachteiligung als sittenwidrig (§ 879 ABGB). Da der Preisabschlag nur im Insolvenzfall schlagend werden soll, benachteiligt dieser ausschließlich die Gläubiger dieses Gesellschafters und nicht den Gesellschafter selbst. Mangels weiterer Rechtfertigung dieser Klausel, ist diese nichtig und somit nicht eintragungsfähig bzw anwendbar.
Damit eine Abfindungsbeschränkung im Insolvenzfall den guten Sitten entspricht, muss sie nach dem OGH zwei Anforderungen entsprechen: Einerseits müssen die Fälle des freiwilligen Ausscheidens, Ableben und Exekution sowie Insolvenz als Fälle des Aufgriffsrechts gleich behandelt werden. Darüber hinaus verlangt der Gerichtshof, dass nicht nur jene Fälle, für die ein Aufgriffsrecht vereinbart wurde, sondern dass generell sämtliche Fälle des freiwilligen und unfreiwilligen Ausscheidens des Gesellschafters gleichermaßen von der Abfindungsbeschränkung betroffen sein müssen. Im Ergebnis dürfen die Gesellschaftergläubiger nicht schlechter gestellt sein als der Gesellschafter selbst. Dem Grunde nach ist ein Preisabschlag jedoch zulässig.
Diese Ansicht bestätigte der OGH bereits in einer weiteren Entscheidung (OGH 12.05.2021, 6 Ob 86/21x). Dieser lag der Sachverhalt zugrunde, dass jene Fälle, für die kein Aufgriffsrecht vereinbart wurde – in concreto also die Veräußerung eines Geschäftsanteils im Familienkreis –, keinen Preisabschlag erfahren sollten. Dies erklärte der OGH freilich für unzulässig.
3. Ausblick
Mit dieser Grundsatzentscheidung wurden viele wichtige Fragen geklärt, die in der Beratungspraxis regelmäßig aufkommen. Offen bleiben im Wesentlichen nur noch wenige Punkte: Zum einen betrifft es die Frage, wie hoch der Preisabschlag ausfallen kann, bis die Sittenwidrigkeitsgrenze erreicht ist. Zum anderen bleibt das Spannungsverhältnis von Abfindungsbeschränkungen bei Aufgriffsrechten für den Todesfall zum Pflichtteilsrecht weiterhin ungelöst.
Das Private Clients Team von Müller Partner Rechtsanwälte unterstützt Sie nicht nur bei der Überprüfung aktueller Gesellschaftsverträge, sondern auch bei der Formulierung entsprechender Aufgriffsrechte und Abfindungsbeschränkungen. Selbstverständlich übernimmt Müller Partner Rechtsanwälte auch die Vertretung vor Gericht bei der Durchsetzung gesellschafts- und pflichtteilsrechtlicher Ansprüche.
DDr. Katharina Müller, TEP / Dr. Martin Melzer, LL.M.