Die ESMA hat am 1. Februar 2021 bekanntgegeben, dass es im Jahr 2021 eine Common Supervisory Action (CSA) zu den MiFID II-Vorgaben zur Product Governance geben wird. Bei CSAs handelt es sich um EU-weit koordinierte Prüfmaßnahmen von nationalen Aufsichtsbehörden. Die CSA 2021 soll laut ESMA dazu beitragen, dass die EU-weite Konvergenz bei der Implementierung und Anwendung der Product-Governance-Regelungen sichergestellt und der Anlegerschutz gestärkt wird.
Die FMA wird an der CSA teilnehmen und die Prüfung der Einhaltung der Regelungen der §§ 30 f WAG für Konzepteure und Vertreiber bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen in ihre geplanten Vor-Ort-Prüfungen integrieren. Die betroffenen Unternehmen werden individuell vor der Vor-Ort-Prüfung davon informiert. Nach den Prüfungen wird die FMA eine anonymisierte Zusammenfassung an die ESMA übermitteln.
Vor diesem Hintergrund sollten betroffene Unternehmen derzeit ein besonderes Augenmerk auf die Product-Governance-Vorgaben legen. Auch weil Untersuchungen der BaFin ergeben haben, dass den seit der MiFID II neuen Vorgaben bisher nicht gänzlich entsprochen wurde (was die BaFin für Deutschland konstatiert, könnte uE auch auf Österreich zutreffen). Der deutschen Aufsicht scheinen etwa die Ausführungen zu bestimmten Zielmarktkategorien verbesserungswürdig: So fiel ihr zum Beispiel bei den Konzepteuren auf, wie oft als Anlageziel „Vermögensbildung bzw Optimierung“ angegeben wurde, obwohl es noch andere vordefinierte Ziele wie etwa die spezifische Altersvorsorge gibt. Bei einigen Anlageprodukten wäre nach ihrer Ansicht eine stärkere Differenzierung wünschenswert gewesen. Zudem haben laut BaFin die allerwenigsten Konzepteure für ihre Produkte einen negativen Zielmarkt festgelegt. Nicht zuletzt meint die deutsche Aufsicht, in manchen Fällen sei nicht ersichtlich, dass Konzepteure und Vertriebsunternehmen bei besonders risikoreichen, komplexen oder illiquiden Produkten eine höhere Sorgfalt bei der Durchführung der Product-Governance-Prozesse an den Tag gelegt hätten (wozu sie aber gesetzlich verpflichtet sind).
Auch auf Seiten der Vertreiber hat die BaFin Mängel gefunden. Eine Marktuntersuchung im Zertifikatevertrieb zeigte etwa, dass 65 Prozent der befragten Vertriebsunternehmen den Zielmarkt des Konzepteurs eins zu eins übernahmen. Das ist zwar nicht immer falsch, denn die Vertriebsunternehmen können zum gleichen Ergebnis kommen wie die Konzepteure. Wenn die Vertriebsunternehmen den Zielmarkt aber ungeprüft übernehmen, delegieren sie ihren Teil der Verantwortung auf die Konzepteure. Die BaFin moniert hier, dass die Vertreiber jene sind, die durch ihre Nähe zu den Kunden deren Bedürfnisse am besten kennen. Laut der deutschen Aufsicht sahen die Konzepteure Zertifikate auf komplexere Indizes teils schon für Kunden vor, die nur über Basis-Kenntnisse und geringe Erfahrungen verfügten. Bei 6 Prozent der untersuchten Zertifikate hätten die Vertriebsunternehmen nach Ansicht der BaFin die Zielmarktkategorien anpassen müssen, taten dies aber nicht.
Auch die FMA hat im Rahmen der WKO/FMA Praxiskonferenz MiFID II nach einer Befragung von 23 Kreditinstituten bereits 2019 Verbesserungspotenzial iZm Product Governance konstatiert. Nach ihrer Ansicht sind etwa die Festlegung der Vertriebsstrategie im Detailgrad und die Prüfung der Gebührenstruktur bei der Konzeption ausbaufähig. Auch bei der Konkretisierung des Hersteller-Zielmarkts durch die Vertreiber sieht die FMA Verbesserungspotenzial.
Insgesamt zeigen sich in der Praxis einige Schwierigkeiten mit der durch die MiFID II neu geschaffenen Product Governance. Vor dem Hintergrund der CSA raten wir den betroffenen Unternehmen jedenfalls ihre Prozesse und Dokumentation dazu genau zu überprüfen. Auch, weil wir zu den letztjährigen Schwerpunkten gerade mit der Aufarbeitung (in Form von verdächtigten Gesetzesverletzungen in FMA-Prüfberichten) beschäftigt sind.
Dr. Sebastian Sieder