1. Einleitung
Die 20-jährige Tochter beantragte gegen ihren Vater eine Unterhaltserhöhung. Dieser bezog im relevanten Zeitraum, abgesehen vom Arbeitslosengeld iHv € 1.440 netto monatlich, selbst kein eigenes Einkommen. Allerdings verdiente seine Ehefrau außerordentlich gut: Ihr monatliches Einkommen für das Jahr 2015 betrug € 14.696 netto und für das Jahr 2016 € 7.760 netto.
Die Frage nach dem Unterhalt stellt sich einerseits im Verhältnis Eltern – Kind und andererseits zwischen Ehegatten: Kinder haben gegen ihre Eltern einen Anspruch auf Unterhalt. Dieser bemisst sich vor allem nach der Leistungsfähigkeit der Eltern. Auch Ehegatten haben einen Anspruch auf Unterhalt und zwar, was gerne übersehen wird, schon während aufrechter Ehe. Hat ein Ehegatte kein Einkommen, bemisst sich die Höhe des Unterhaltsanspruchs nach der Judikatur mit 33% des Nettoeinkommens des erwerbstätigen Ehegatten.
2. OGH Entscheidung (22.09.2021, 4 Ob 67/21p)
In aller Regel wird auf die (ausdrückliche) Geltendmachung eines Ehegattenunterhalts regelmäßig verzichtet bzw nehmen viele Ehegatten Leistungen des einen an den anderen nicht als Erfüllung ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht wahr. Ein Verzicht soll jedoch den Unterhaltsberechtigten des Ehegatten nicht zum Nachteil gereichen. Der Hintergrund ist nämlich Folgender: Als Grundlage für die Bemessung der Unterhaltspflicht dienen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, was Unterhaltsempfänge ebenso inkludiert.
Dass der Vater tatsächlich keinen (Geld-) Unterhalt erhielt, spielt keine Rolle, da der sog Anspannungsgrundsatz gilt: Der Unterhaltspflichtige hat seine Fähigkeiten und Möglichkeiten in faktischer sowie rechtlicher Hinsicht zur Einkommenserzielung im Rahmen des Zumutbaren auszuschöpfen. Verletzt er diese Verpflichtung schuldhaft, wird der Unterhaltspflichtige auf seine fiktiven Einnahmen „angespannt“.
Unter Anwendung dieses Anspannungsgrundsatzes gelang der OGH zu folgendem Ergebnis: Der Vater der Unterhaltsberechtigten hat einen Rechtsanspruch auf Ehegattenunterhalt gegen seine Ehefrau. Dass er diesen nicht (als Geldunterhalt) einfordert, ist zwar legitim, darf für seine Tochter aber nicht nachteilig sein. 33% des Nettoeinkommens der Ehefrau sind daher als (fiktives) Einkommen des Vaters anzusehen. Von diesem bemisst sich schließlich der Kindesunterhalt der Tochter.
3. Fazit
Diese Entscheidung ist eine konsequente Folge des Anspannungsgrundsatzes. Sie zeigt sehr deutlich, dass es nicht (nur) auf das tatsächliche, sondern eben auch auf das fiktiv erzielbare Einkommen ankommt.
DDr. Katharina Müller, TEP / Dr. Martin Melzer, LL.M.