Die Investition in Startups birgt für den Investor ein hohes Risiko. Der Investor stellt dem Startup Eigenkapital zur Verfügung und erhält dafür eine Beteiligung am Startup mit der Chance, dadurch am Erfolg des Startups zu partizipieren. Im schlechtesten Fall kann der Startup-Investor aber auch sein gesamtes eingesetztes Eigenkapital verlieren.
Da der Startup-Investor im Vergleich zu den Gründern später einsteigt, wird seine Zahlung für den Erwerb des Gesellschaftsanteils, im Gegensatz zu den Konditionen bei der Gründung, über dem Nennbetrag liegen (sog. Aufgeld). Der Investor erwartet dafür, dass er bei Verwertung der Startup-Vermögenswerte gleich welcher Art gegenüber den Gründern bevorzugt wird. Für die Absicherung seines Risikos bietet dem Investor rechtlich unter anderem eine passgenaue Regelung von sogenannten Liquiditätspräferenzen (liquidation preference) eine gute Möglichkeit. Nachdem bei Startups ein Exit eher selten durch einen Verkauf der Vermögensgegenstände (asset deal) mit anschließender Liquidation erfolgt, sondern häufiger über Anteilsverkauf (share deal), ist die regelmäßig gewählte Bezeichnung als Liquidationspräferenz hier sogar etwas missverständlich: In der Praxis geht es regelmäßig um einen Veräußerungserlösvorzug! Aber worum geht es genau?
Der Investor, der ja in der Regel „nur“ Minderheitsgesellschafter ist, würde im Exit-Fall ohne entsprechende Vorkehrung gegenüber den Gründern finanziell benachteiligt werden. Der Investor würde mit dem seiner gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsquote entfallenden Teil (pro rata) des Exit-Erlöses abgefunden werden und dadurch würde die Abfindung hinter seinem ursprünglichen Investment zurückbleiben. Das bezahlte Aufgeld ist ja bei der pro-rata-Verteilung nicht maßgeblich. Mittels liquidation-preference-Regelung kann der Investor der Ungleichbehandlung beim Exit entgegenwirken. Mit dem daraus resultierenden Recht wird dem Investor ein verhandelter Vorzugserlös beim Exit gesichert. Damit ändert der Erlösvorzug den Verteilungsmaßstab von Exit-Erlösen, indem der Investor bei einem Exit die liquidation preference vorrangig und abweichend von der pro-rata-Quote vor den Gründern erhält.
Dabei ist die sogenannte „anrechenbare″ Liquidationspräferenz ein Schutz des Investors gegen das negative Szenario eines Verkaufs des Startups unter seiner Einstiegsbewertung. Der Investor soll insbesondere bei einem Exit vorab vor den Gründern zumindest einen solchen Betrag aus den Erlösen erhalten, der seiner Rückzahlungserwartung entspricht (Vorzugsbetrag). Der Vorzugsbetrag kann dem einfachen Investment des Investors entsprechen oder es kann auch ein höherer Betrag vereinbart werden, um die Renditeerwartung des Investors mitabzubilden. Hier kann vereinbart werden, dass der Investor das ursprüngliche Investment plus eine Verzinsung bis zum Exit oder sogar ein Vielfaches auf das ursprüngliche Investment erhält. Durch die Formulierung der liquidation preference erhält der Investor entweder den Vorzugsbetrag oder den pro rata auf ihn entfallenden Betrag, je nachdem was höher ist.
Alternativ ist die nicht-anrechenbare liquidation preference nicht auf eine Absicherung gegen das Negativszenario eines Exits unter dem Erwartungswert begrenzt. Die nicht-anrechenbare liquidation preference dient vielmehr dazu, dem Investor eine Prämie auf sein Investment zu sichern, sodass der Investorenerlös pro Anteil in jedem Fall denjenigen Betrag übersteigt, den die Gründer pro Anteil erhalten. Dafür wird ein Vorzugsbetrag in Abhängigkeit des Investments definiert. Der Investor erhält bei der nicht anrechenbaren liquidation preference seinen Vorzugsbetrag UND zusätzlich den pro rata auf ihn entfallenden Anteil am Erlös.
In der Praxis wird oftmals die Variante „anrechenbare Liquidationspräferenz“ vereinbart, auch weil sie für die Gründer deutlich leichter verdaulich ist. Hier hängt aber natürlich Vieles von den Umständen des Einzelfalls ab (also primär von der Verhandlungsmacht und dem Verhandlungsgeschick der handelnden Personen).
Dr. Sebastian Sieder