MP-Law-Logo weiß

Newsletter Erbrecht und Vermögensnachfolge Issue 4|2023

Werterhöhende Investitionen durch den Geschenknehmer vor dem Zeitpunkt der Zuwendung im Rahmen der Schenkungsanrechnung zu berücksichtigen?

26. Juni 2023

1. Einleitung

Unentgeltliche Zuwendungen kommen in der Familie sehr häufig vor. Aus erbrechtlicher Sicht sind damit nicht selten Probleme verbunden, denn durch Schenkungen unter Lebenden könnte der Erblasser auf einfachem Wege die Verlassenschaft schmälern und damit unbeliebte Familienmitglieder erbrechtlichen bzw pflichtteilsrechtlichen Kürzungen unterziehen. Das soll durch die Regelungen zur Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen verhindert werden.

Zuwendungen, die der Erblasser zu Lebzeiten gemacht hat, sind naturgemäß nicht mehr in der Verlassenschaft, weil es sich ja nicht mehr um die Vermögensgegenstände, Rechte und Verpflichtungen des Verstorbenen handelt. Um eine Aushöhlung der Verlassenschaft zu verhindern, wird die zu Lebzeiten getätigte Schenkung in einem ersten Schritt wertmäßig hinzugerechnet. Diese Summe ergibt sodann die neue Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil. In einem zweiten Schritt sind ziffernmäßig die (erhöhten) Pflichtteile zu berechnen. Von den ermittelten Werten muss sich dann jeder Pflichtteilsberechtigte seine eigenen Schenkungen anrechnen lassen.

In der Entscheidung 2 Ob 9/23x klärte der OGH offene Fragen hinsichtlich der Höhe der anzusetzenden Beträge.

2. OGH vom 20.04.2023, 2 Ob 9/23x

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die zwei ehelichen Kinder des Verstorbenen wurden testamentarisch zu Erben eingesetzt. Hinsichtlich des außerehelichen Sohnes nahm der Verstorbene folgende Anordnung vor: „Mein unehelicher Sohn R* ist nicht erbberechtigt, da ich nie Kontakt zu ihm hatte.“ Sohn R* machte sodann seinen gesetzlichen Pflichtteilsanspruch geltend.

Der Erblasser schenkte seiner (ehelichen) Tochter sowie ihrem Ehegatten zu Lebzeiten ein Grundstück. Diese wohnten bereits seit 20 Jahren in dem Haus, gemeinsam mit dem Verstorbenen und dessen Ehefrau. Die Tochter und ihr Ehegatte nahmen auch bereits vor der Schenkung umfangreiche Investitionen und Zubauten vor, und zwar im Hinblick darauf, dass sie das Haus vom Verstorbenen ohnehin bekommen sollten.

Gemäß § 788 ABGB ist die geschenkte Sache auf den Zeitpunkt zu bewerten, in dem die Schenkung wirklich gemacht wurde. Dieser Wert ist sodann auf den Todeszeitpunkt nach dem Verbraucherpreisindex anzupassen. Nach den Materialien zu § 788 ABGB sollen alle anderen wertverändernden Umstände, die zwischen dem Zuwendungs- und Todeszeitpunkt eintreten, außer Betracht bleiben. Im vorliegenden Fall wurden Investitionen von den Geschenknehmern aber bereits vor dem Zeitpunkt der Zuwendung getätigt. Der OGH hatte in der vorliegenden Entscheidung zu klären, ob diese Investitionen zu berücksichtigen sind oder ob der Wert der Liegenschaft vor Vornahme der Umbauten heranzuziehen ist.

Das Höchstgericht wies darauf hin, dass zwischen dem Erblasser und den späteren Geschenknehmern Einverständnis herrschte, dass diese im Hinblick auf eine spätere Schenkung durch den Erblasser in die Liegenschaft investieren sollten. Ausgehend davon fehlte es dem Erblasser im Zeitpunkt der Schenkung der Liegenschaft am Willen, eine freigiebige Zuwendung der getätigten Investitionen vorzunehmen. Deshalb sind die Investitionen nicht zu berücksichtigen. Die Liegenschaft ist mit dem fiktiven Wert im Todeszeitpunkt ohne Werterhöhung durch die vorgenommenen Investitionen für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs des außerehelichen Sohnes anzusetzen.

3. Fazit

Mit der vorliegenden Entscheidung stellte der OGH klar, dass Investitionen durch Personen, denen später vom Erblasser eine Sache geschenkt wird, nicht für die Bemessungsgrundlage heranzuziehen sind, wenn die Investitionen deshalb vorgenommen wurden, weil Einverständnis über die spätere Schenkung der Liegenschaft durch den Erblasser herrschte. Für die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen unter Lebenden ist dementsprechend der fiktive Wert der Sache im Zeitpunkt der Schenkung relevant, also jener Wert, den die Sache ohne Vornahme der Investitionen haben würde.

DDr. Katharina Müller, TEP / Dr. Martin Melzer, LL.M.

Übersicht

Downloads

PDF