1. Einleitung
Der Oberste Gerichtshof befasste sich zuletzt in zwei aktuellen Entscheidungen mit dem Pflichtteilsrecht. In der Entscheidung 2 Ob 44/20i behandelte er die Frage, welche Zuwendungen unter den Schenkungsbegriff des § 781 ABGB fallen.
In der zweiten Entscheidung 2 Ob 154/19i musste sich der OGH mit der Wirksamkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrages auseinandersetzen, welcher unter mündlichen Nebenabreden abgeschlossen wurde.
2. OGH 2 Ob 244/20i: Schuldentilgung als anrechnungspflichtige Schenkung
Der verstorbene Vater der Parteien hat seiner Tochter zu Lebzeiten zwei Liegenschaften geschenkt und seinem Sohn das KFZ-Einzelunternehmen samt einem Anteil an einer Liegenschaft gegen Übernahme der Schulden und Zahlung einer Leibrente übergeben. Weiters hat der Verstorbene seinem Sohn im Zuge eines Zwangsausgleichs Geldmittel zur Befriedigung seiner Gläubiger zur Verfügung gestellt, „um den Betrieb am Leben zu erhalten“.
Der Sohn fühlte sich dennoch in seinen Pflichtteilsansprüchen verkürzt und begehrte von seiner Schwester die Zahlung des Fehlbetrages. Er machte dabei geltend, dass weder die Übergabe des Unternehmens an ihn noch die Zahlung seiner Schulden durch den Verstobenen in Schenkungsabsicht erfolgt sei, sodass er sich diese Zuwendungen des Verstorbenen auf seinen Pflichtteil nicht anrechnen lassen müsse und mangels Befriedigung des Pflichtteils aus der Verlassenschaft, einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegenüber seiner Schwester habe.
Seit dem ErbRÄG 2015 gilt gemäß § 781 Abs 2 Z 6 ABGB auch „jede andere Leistung“, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt, als anrechnungspflichtige Schenkung. Diese Z 6 soll Vermögensverschiebungen erfassen, die zwar keine Schenkungen im technischen Sinn sind, jedoch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise den Zuwendungsempfänger einseitig begünstigen.
Der Oberste Gerichtshof stellt unter Anwendung dieser Bestimmung klar, dass der Kläger durch die Befriedigung der Gläubiger zum Erhalt des Unternehmens einseitig begünstigt wurde. Daher falle diese Schuldentilgung – sofern man sie nicht ohnehin als Schenkung im engeren Sinn qualifiziert – jedenfalls unter § 781 Abs 2 Z 6 ABGB. Der Kläger muss sich die Schuldtilgung demgemäß als Schenkung auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen.
3. OGH 2 Ob 154/19i: Pflichtteilsverzicht mit mündlichen Nebenvereinbarungen
Im zweiten vom OGH zu beurteilenden Sachverhalt schlossen drei Kinder mit ihren Eltern einen Pflichtteilsverzichtsvertrag ab, in welchem die drei Kinder auf ihre Pflichtteilsrechte nach dem jeweils erstversterbenden Elternteil verzichten.
Dies geschah auf Wunsch der Eltern, damit die elterliche Liegenschaft vom überlebenden Elternteil nicht zur Finanzierung der Pflichtteile der Kinder verkauft werden müsse. Beide Elternteile sagten den Kindern mündlich zu, dass die Liegenschaft beim Ableben des ersten Elternteils nicht verkauft werden würde und sie ihren Pflichtteil nach dem Tod des zweiten Elternteils erhalten würden. In den Pflichtteilsverzichtsvertrag selbst wurde diese Vereinbarung nicht aufgenommen.
Nach dem Tod des Vaters verkaufte die Mutter dennoch die Liegenschaft. Eines der Kinder brachte daraufhin Klage gegen die Mutter ein und begehrte den Pflichtteil nach ihrem Vater. Sie brachte vor, der Pflichtteilsverzichtsvertrag sei nicht mehr rechtsgültig, da die Beklagte durch den Verkauf der Liegenschaft gegen die vereinbarte Bedingung verstoßen habe.
Der OGH stellte in der Entscheidung 2 Ob 154/19i fest, dass für die Auslegung einer Erbverzichtserklärung die Auslegungsregeln der §§ 914 ABGB Anwendung finden. Dabei kommt es nicht nur auf den objektiven Erklärungswert des schriftlich Beurkundeten an, sondern ist auch die mündlich erklärte Absicht der Parteien zu berücksichtigen. Nach Lehre und Rsp kann die Erhebung des Beweggrundes oder des Endzwecks zur Vertragsbedingung auch konkludent erfolgen.
Im vorliegenden Fall wurde eine verbindliche Willensübereinkunft dahingehend getroffen, dass der Pflichtteilsverzicht nur solange wirksam sein sollte, als die Liegenschaft im Eigentum der überlebenden Ehefrau steht, sodass dem Klagebegehren stattzugeben ist.
4. Empfehlung
Das Pflichtteilsrecht birgt vielschichtiges Konfliktpotential und ist wohl Anlass für die meisten erbrechtlichen Streitigkeiten. Dabei ließen sich viele dieser Streitigkeiten durch eine umsichtige Nachfolgeplanung verhindern.
Besonderes Augenmerk ist dabei – wie auch die erste besprochene Entscheidung zeigt – auf zu Lebzeiten getätigte Schenkungen zu legen. Es empfiehlt sich, Zuwendungen unter Lebenden und ihre Begleitumstände sorgfältig zu dokumentieren, um spätere Beweisschwierigkeiten zu vermeiden. Besondere Vorsicht ist schließlich stets bei der Abgabe von Pflichtteilsverzichtserklärungen geboten. Auch wenn in der zweiten besprochenen Entscheidung die mündlich vereinbarte Bedingung konkludent zum Vertragsinhalt erhoben wurde, hätte eine sorgfältig formulierte Vereinbarung die Streitigkeit von vornherein vermieden.
Die Entscheidungen behandeln lediglich zwei von vielen komplexen Fragestellungen im Pflichtteilsrecht, sodass es für die Geltendmachung des Pflichtteilsrechts, aber auch für die Gestaltung der Vermögensnachfolge jedenfalls ratsam ist, ein Beratungsgespräch bei einem spezialisierten Rechtsvertreter wahrzunehmen.
Für eine umfassende Beratung steht Ihnen das Erbrechtsteam von mplaw jederzeit gerne persönlich wie auch telefonisch (Videokonferenz) zur Verfügung.
DDR. KATHARINA MÜLLER, TEP
DR. MARTIN MELZER, LL.M.